Vor wenigen Wochen blickte die ganze Welt auf den Schornstein der Sixtinischen Kapelle in Rom und fragte: Wer wird Papst? Dann war der Papst gewählt, das Kaminrohr wieder abgebaut und auf den Giebel der Kapelle schauten nur noch Stadtplaner, Architekten und Vertreter des Vatikans. Sie stellten sich eine andere Frage: Unter was für einem Dach sollen die Deckengemälde Michelangelos und die liturgischen Bedürfnisse der Gläubigen in Zukunft zusammenfinden?
Spiel aus Licht und Schatten
Die Antwort steht im Entwurf von Mario Botta: Weisse und schwarze Schindeln decken im Wechsel das Dach und ein Schornstein ragt inmitten dieses Spiels aus Licht und Schatten in den Himmel. Und das genau an der Stelle, wo während des Konklaves das Wahlergebnis durch ein eigens dafür angebrachtes Kaminrohr raucht. «Der hohe Schornstein leitet den Blick nach oben, gleichzeitig symbolisiert die Verwendung von Stein eine tiefe Erdverbundenheit», so die Erklärung zum Siegerentwurf von Roms Bürgermeister Giovanni Alemanno, der den Architekturwettbewerb im vergangenen Jahr ausgeschrieben hatte.
«Spirituelle Gefühle»
Die Entscheidung für Botta fiel vor allem durch eine Empfehlung der «Päpstlichen Kommission für sakrale Kunst»: Bottas modernes Dach glänze zwar nicht durch materielle Bescheidenheit, dafür aber durch eine sinnliche Gestaltung aus, die im Betrachter spirituelle Gefühle anrühren werde.
Aufnahme in die päpstliche Akademie
Völlig überraschend fiel die Entscheidung nicht auf Mario Botta. Papst Benedikt hatte den Star-Architekten noch kurz vor dem Ende seiner Amtszeit in die «Päpstliche Akademie der schönen Künste und der Literatur» berufen. Und das, um einen wichtigen Beitrag zur christlichen Inspiration zu leisten.
Grundstein für die Verweltlichung des Papstamtes
Doch zwischen den Lobpreisungen kam auch lautstarke Kritik aus den Reihen der Kirchenvertreter: «Hier droht ein gemauerter Schornstein zum Grundstein für die Verweltlichung des Papstamtes zu werden», beklagt Nicola Borgogno, katholischer Pfarrer aus Rom. Damit spielt Borgogno auf den Rücktritt von Papst Benedikt an. Er befürchtet, dass ein ständig präsenter Schornstein für «eine jederzeit mögliche, selbstbestimmte Amtsniederlegung» stehen werde.
Ein riesiger «Phallus»
Doch nicht alle Kritik ist Ausdruck religiöser Gefühle. Eine Gruppe Touristen steht um Bottas Modell, das derzeit in der Sixtinischen Kapelle ausgestellt ist. Eine junge Französin meint: «Diese schwarz-weissen Streifen… Als wäre in Rom immer Karneval. Das ist eine Frechheit!» Eine Italienerin findet es nicht in Ordnung, dass ein Schweizer diesen Auftrag bekommen hat und spottet, dass der Schornstein wie ein «Riesen-Phallus» aussehe.
Und auch die Verkäuferin des Souvenirladens auf dem Dach der Peterskirche ist unglücklich: «Wer will da noch Schlüsselanhänger und Handy-Hüllen mit dem alten Stahl-Kaminrohr kaufen? Die kann ich bald alle entsorgen.»