Torsten Kleinz, woran erinnern Sie sich, wenn Sie an ihren Besuch bei der ersten re:publica 2007 zurückdenken?
Im Prinzip war es ein riesiges Familientreffen. Die Szene der Blogger und der Leute, die damals über Netzpolitik diskutierten, war relativ überschaubar, aber doch weit verstreut. Die re:publica war eine der ersten Gelegenheiten, zusammenzukommen und einen Dialog zu führen. Damals war die digitale Landschaft noch eine völlig andere, sie war erst im Entstehen. Die Berliner Start-up-Szene, die mittlerweile hochgelobt wird, existierte noch nicht. Und Twitter war noch weitgehend unbekannt. Kurz: Es hat sich seither sozusagen alles verändert. Trotzdem sind viele Mechanismen ähnlich geblieben. Was wir damals über Chats, Etherpads und Blogs verbreiteten, geht jetzt schneller und über andere Kanäle, und viel mehr Leute nehmen daran teil.
Man braucht sich nur die Besucherzahlen der re:publica anzusehen: 2007 waren es ungefähr 700, letztes Jahr über 7000. Inwiefern hat sich dadurch der Charakter der Veranstaltung verändert?
Dieses Jahr tritt die deutsche Arbeitsministerin Andrea Nahles als Rednerin auf, sprich: Das Familientreffen hat mittlerweile auch sehr prominente Mitglieder. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor der re:publica ist, dass sie sich nie ganz ernst genommen hat. Es gab im Laufe der Jahre immer wieder Konferenzen, die versucht haben, etwas Ähnliches zu machen. Aber die re:publica ist immer einer Mischung aus Leuten treu geblieben: Neben den grossen Namen gibt es viele Vortragende, die ein spannendes Projekt oder eine tolle Idee haben, die bisher wenig Öffentlichkeit bekam.
Erinnern Sie sich an Momente, in denen das Erfolgsrezept der re:publica besonders spürbar war?
Da fallen mir spontan die Abschlussveranstaltungen ein: Die Referenten und Organisatoren gehen jeweils auf die Bühne und singen Karaoke, zusammen mit dem Publikum. Das ist etwas, dass es bei anderen Konferenzen so nicht gibt. Dabei zeigt sich auch wieder dieses familiäre Gefühl: Zwar ist das Familientreffen von früher Vergangenheit, aber ein Familiengefühl ist geblieben.
Die Positionierung der re:publica zwischen Familientreffen und Grossveranstaltung, und der Mix aus kritischer Haltung und Experimentierfreude – sind das Faktoren, die sich gut verkaufen?
Dieses Phänomen trifft nicht nur auf die re:publica zu. Veranstaltungen, die sich aus der digitalen Szene entwickelt haben, sind alle sehr gewachsen und viel breitenwirksamer geworden. Mittlerweile gibt es natürlich viele Sponsoren, die ein solches Forum nutzen wollen. Bei der re:publica gibt es auch Veranstaltungen, die einem sehr kommerziellen Schema unterliegen, sich aber anpassten an dieses wildgewachsene, etwas merkwürdige Zusammenkommen von Leuten, die früher niemand so richtig ernst genommen hat.
Beiträge zum Thema
Die re:publica befasst sich mit Trends im digitalen Bereich, der sich sehr rasch wandelt. Muss sie diesem Wandel nicht zwangsläufig hinterherhinken?
Nehmen wir zum Beispiel den Schwerpunkt Virtual Reality dieses Jahr: im Prinzip ein alter Hut, weil wir alle seit über einem Jahr über Oculus Rift diskutieren. Aber jetzt werden diese VR-Brillen ausgeliefert und man fragt sich: Was macht man überhaupt damit? Wir müssen sehen, welche Eingabegeräte geeignet sind, mit dieser virtuellen Realität zu interagieren und ob wir das überhaupt wollen. Es entsteht auf der re:publica also eher etwas, als dass sie hinterherhinkt. Sie ist mehr eine Konversation als eine Messe, und gibt sozusagen die Trends des nächsten Jahres vor.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 3.5.2016, 16.50 Uhr.