Über Geld wird nicht gesprochen. Das ist im Buch «Kleiner Mann – was nun?» so auffällig, dass es in den Zwischentiteln des Romans extra vermerkt ist. Sonst wird viel gerechnet. Denn es geht um Geld. Es geht oft darum.
Das ändert alles
200 Reichsmark im Monat, das ist der «Normal-Etat», den Johannes und Emma Pinneberg (genannt Lämmchen) für ihre gemeinsame Zukunft aufstellen. 200 Mark für ein Leben in Berlin, 1930. Dazu die Notiz: «Darf unter keinen Umständen überschritten werden!»
Für den Autor Rudolf Ditzen – der sich an Anlehnung der Brüder Grimm Hans Fallada nennt – wird der Roman zum überraschenden Welterfolg. Ein sensationeller Hype im Buchmarkt am Ende der Weimarer Republik. Rowohlt, Falladas Verlag, ist ein Jahr vorher fast in Konkurs. Das ändert sich nun.
Die Geschichte um den Warenhaus-Verkäufer Pinneberg und seine Familie trifft den Nerv der Zeit. Sie gibt ein präzises Bild ab der sozialen und politischen Lage in Deutschland vor Beginn der Nazi-Diktatur. Und sie zeigt einen traurigen Helden, einen Mitläufer in der Masse der Unpolitischen, der sich nur raushalten will im Kampf um die eigene, wirtschaftliche Existenz.
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Weichzeichner und Idyllen
Johannes Pinneberg ist Hans Fallada, «Lämmchen» ist Anna Suse Ditzen, die er 1929 heiratet. Die Charaktere im Roman entsprechen den realen Vorbildern. Fallada schildert die eigene Lage, seinen ängstlich labilen Charakter und zugleich die sachlich optimistische Stärke seiner Frau.
Schon bei der Arbeit am Manuskript ist der Autor zu Konzessionen bereit. Hier eine Änderung in der politischen Haltung, da eine Streichung im Blick auf die Erwartung der Leser und des Verlags. Die Leitlinie ist der Kompromiss. Mehr Weichzeichner und etwas mehr Idylle im Niedergang des Personals – so soll es sein.
Kürzungen bleiben
Als das Buch 1932 bei Rowohlt erscheint, fehlen ganze 100 Seiten, fast ein Viertel des Textes. Der riesige Erfolg dieser Ausgabe hält trotzdem, auch in der Nachkriegszeit. Die politischen Korrekturen sind nun getilgt, aber die umfänglichen Kürzungen bleiben.
Erst jetzt erscheint der Originaltext, der im Fallada-Archiv im norddeutschen Carwitz liegt. Schon einmal hatte der Aufbau-Verlag international Erfolg mit einer Fallada Entdeckung, damals «Jeder stirbt für sich allein». Jetzt folgt das Original von «Kleiner Mann – was nun?».
Das Original ist rauer
Aber: Die neuen Seiten ergeben kein neues Buch, nur etwas mehr Tiefenschärfe in Situationen und Charaktere. Da gibt es die nächtliche Vergnügungstour durch Berliner Ballhäuser, eine Art Speed-Dating mit Rohrpost-Nachrichten und Tisch-Telefon. Oder Pinnebergs Robinson-Traum vom Alleinsein:
«Man kam auf eine Insel, man war völlig allein. Von dem Augenblick an, wo die Fussspur entdeckt wurde, wo die Wilden kamen, wo Freitag kam, wurde es uninteressant für Pinneberg.
Andere – andere gab es genug hier in Deutschland, darum brauchte man nicht auf einer wilden Insel zu scheitern; wenn die andern doch kamen, war alles sinnlos.»
«Andere» meint den Konkurrenten – das stimmt für den Traum in «Kleiner Mann – was nun?» und für die Wirklichkeit des Romans. Das Original ist rauer als die bisher bekannten Fassungen. Das ist alles. Nicht mehr und nicht weniger.
Hans Falladas Leistung als Autor war schon vorher da. Als er an seinem Manuskript arbeitet, erscheint in Deutschland die erste grosse soziologische Studie über einen damals neuen Sozialtyp: Sein Roman ist das Buch der Angestellten. Er sieht ihre Lage und erkennt ihre Zukunft.
Sendung: Kultur kompakt, 3. August 2016, 17.06 Uhr.