1. Gila Lustiger: «Die Schuld der anderen»
«Die Schuld der anderen» ist ein Krimi, in dem es um Mord, Macht und Geld geht: Ein französischer Journalist recherchiert in einem Mordfall und kommt auf die Spur eines Chemieskandals, der auf einer wahren Begebenheit beruht. Gila Lustiger gelingt es aufzuzeigen, wie gross die wirtschaftlichen Probleme in Frankreichs Randregionen sind, und wie perspektivlos die Jugend ist, die dort heranwächst. So gelesen ist Gila Lustigers Krimi eine eindrückliche Gesellschaftsanalyse über das heutige Frankreich. (Annette König)
«Die Schuld der Anderen» in der Juni-Ausgabe des «Literaturclub»
2. Leta Semadeni: «Tamangur»
«Tamangur» ist der erste Roman der Engadiner Lyrikerin. Und der Ort, oder das Paradies, wo der Grossvater hingegangen ist. Oder wie's die Grossmutter sagt: wohin er sich «wie ein Feigling aus dem Staub gemacht hat». Leta Semadeni erzählt von Erinnerungen, die glücklich machen, wenn man «ab und zu etwas ausradiert». Es geht in diesem Buch vor allem darum, wie man mit einem Verlust weiterlebt. Semadeni nimmt einen mit in ihre Welt, in ein Dorf irgendwo in den Bündner Bergen. Hier leben besondere Menschen. Die Grossmutter, das Kind, die böse Nachbarin, der schwule Kaminfeger, der alte Kasimir, der öfters zu tief ins Glas schaut, oder die seltsame Elsa, die unglaubliche Geschichten erzählt. Der Grundton ist melancholisch, aber es gibt auch viel Heiteres in diesem Roman. Das hat sicher damit zu tun, dass die Autorin aus der Perspektive eines kleinen Mädchens erzählt. «Tamangur» überzeugt durch die dichte Sprache und die raffinierte Gestaltung, das Aneinanderreihen von zahlreichen Prosa-Miniaturen die sich mit der Zeit zu einer ganzen Geschichte zusammenfügen. (Susanne Sturzenegger)
3. Hilary Mantel: «Von Geist und Geistern»
Mit der Geschichte der Tudors ist sie berühmt geworden. In «Von Geist und Geistern» erzählt Hilary Mantel von sich. Von einer Jugend aus Geheimnis und Bedrohung, ein armes, katholisches Milieu im Norden Englands. Mit 19 bricht die Krankheit aus, die ihr Leben begleitet: Endometriose. Kinder kann sie keine mehr bekommen, ein Trauma, das Mantel mit Witz und Distanz umspielt. «Von Geist und Geistern» ist eine unsentimentale Lebensreise, voller Scharfsinn und Sarkasmus. Grosse Literatur einer grossen Autorin. (Rainer Schaper)
4. Michel Houellebecq: «Unterwerfung»
«Unterwerfung» erschien in Frankreich just an dem Tag, an dem islamistische Terroristen einen Anschlag auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo» verübten. Der Skandalautor schildert ein Zukunftsszenario Frankreichs unter einem islamischen Präsidenten. Mit saudischem Geld wird das Land friedlich islamisiert. Damit hat sich Houellebecq den grössten innenpolitischen Konflikt Frankreichs vorgenommen und greift zugleich die heftigste Debatte dieser Tage auf: den Streit um die Stellung des Islam in Europa. (Nicola Steiner)
5. Jonathan Franzen: «Unschuld»
Mit diesem farbigen Gesellschaftspanorama, das von Kalifornien über Bolivien bis in die ehemalige DDR reicht, bestätigt Jonathan Franzen seinen Weltruf als Romancier. Manipulation ist wie der morastige Boden, auf dem die Geschichte steht; alle Figuren machen sich schuldig, lassen sich einspannen und ausspielen. Es geht um Mord und Missbrauch, um Verrat und Selbstbetrug und um die Frage, inwiefern wir heute bereits alle Sklaven des Internets sind. Einmal mehr vertraut Franzen voll auf die Kraft des Erzählens und schafft es, sein Publikum auf über 800 Seiten voll in seinen Bann zu ziehen. (Luzia Stettler)
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