SRF News: Wie fallen die Reaktionen auf den Sondergipfel in Griechenland aus?
Corinna Jessen: Die Reaktionen sind eher gespalten. Einige Zeitungen titeln hoffnungsfroh, es gebe Licht am Ende des Tunnels oder der Weg für eine Einigung sei frei gemacht worden. Andere Blätter sprechen von einem schmerzhaften Kompromiss, ja sogar einem Schock. Man moniert auch, dass die Kreditgeber immer noch nicht zufrieden damit seien, was die griechische Regierung jetzt vorgelegt hat.
Unmittelbar auf die Massnahmen-Liste reagiert haben zwei Abgeordnete der Regierungspartei Syriza. Sie wollen nicht für das Paket stimmen und gehen davon aus, dass die Fraktion ihrem Ministerpräsidenten nicht geschlossen folgen wird. Die Vorlage dürfte zwar auf jeden Fall mit den Stimmen der europa-freundlichen Opposition verabschiedet werden. Das würde jedoch die Position von Alexis Tsipras derart stark untergraben, dass es politische Veränderungen bis hin zu Neuwahlen nach sich ziehen könnte.
Griechenland hat sich offenbar substanziell bewegt. Das Land scheint Rentenkürzungen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nun doch für möglich zu erachten. Warum der Sinneswandel?
Hinsichtlich der Rentenkürzungen sprach Tsipras schon in den letzten Tagen davon, dass man eine substanzielle Reform werde durchbringen müssen. Vor allem die Frühverrentungen müssten sofort abgeschafft werden.
Tsipras' rote Linie blieb aber nach wie vor, dass Zulagen für die allerniedrigsten Renten nicht gestrichen werden. Das ist offensichtlich auch beibehalten worden. Auch die Grundrenten sollen nicht gekürzt werden. Eine solche absolut notwendige Rentenreform wird der Regierungschef verkaufen können. Die Mehrwertsteuerfrage ist schwieriger. Vor allem in der Tourismusbranche, bei den Gastwirten und den Hoteliers, sind heftige Reaktionen zu erwarten. Hier wird noch einiges auf uns zukommen.
Tsipras' rote Linie blieb aber nach wie vor, dass Zulagen für die allerniedrigsten Renten nicht gestrichen werden.
In Griechenland wird lautstark für den Verbleib im Euro-Raum demonstriert. Vor ein paar Tagen haben wir festgestellt, dass die Griechen ein Stück weit das Vertrauen in die Syriza-Hardliner verloren haben – hat sich dieser Eindruck verstärkt?
Es geht immer stärker auf eine Polarisierung in der Gesellschaft zu. In Gesprächen mit Demonstrationsteilnehmern habe ich sogar festgestellt, dass Menschen auch selbst gespalten sind – zwischen Wut und Erleichterung. Auf der einen Seite ist man erleichtert darüber, dass die grösste Gefahr – ein Austritt aus der Euro-Zone oder gar aus der EU – abgewendet werden könnte. Auf der anderen Seite wissen die Menschen sehr genau, wie schmerzhaft diese Einigung ist.
Die geplanten acht Milliarden Euro Einsparungen bis Ende 2016 werden die ganze Gesellschaft erneut belasten. Die Menschen sind wütend darüber, dass die Kreditgeber damit offensichtlich immer noch nicht zufrieden sind.
Die geplanten acht Milliarden Euro Einsparungen bis Ende 2016 werden die ganze Gesellschaft erneut belasten.
Letzte Woche haben die Griechinnen und Griechen Abermillionen Euro von den Banken abgehoben. Haben die Leute nach dem Krisengipfel nun wieder mehr Vertrauen gefasst?
Schon am gestrigen Montag hat sich die Lage wieder etwas beruhigt. Nachdem am vergangenen «Schwarzen Freitag» fast 1,3 Milliarden Euro abgehoben wurden, waren es gestern weniger als die Hälfte. Nachdem die Europäische Zentralbank die Nothilfe erneut erhöht hat, wird auch heute normaler Bankverkehr stattfinden. Allen gegenteiligen Gerüchten zum Trotz. Allein das dürfte die Menschen weiter beruhigen – zumal Ende der Woche eine Einigung in Aussicht steht.
Das Gespräch führte Philippe Chappuis.