SRF News: Ist es vorbei mit dem Schulz-Effekt?
Adrian Arnold: Die jüngsten Umfragen sprechen eine klare Sprache: Lag die SPD zeitweise sogar vor der Union, hat Angela Merkels Partei jetzt einen Vorsprung von 15 Punkten – der Schulz-Effekt ist definitiv vorbei.
Weshalb hat sich die anfängliche Euphorie so schnell gelegt?
Schulz' grosser Fehler war, dass er zwar Ankündigungen zur sozialen Gerechtigkeit machte, aber nicht erklärte, wie er diese umsetzen will. Er hat lange keine Inhalte geliefert. Gleichzeitig hatte Angela Merkel den Trumpf, ein sicherer Hafen in einer weltpolitisch unsicheren Lage zu sein.
Weshalb kam es denn überhaupt zum Schulz-Effekt?
Es war die Hoffnung in der SPD und bei ihren Sympathisanten, dass er die Sozialdemokraten aus ihrer Krise führen kann. Gleichzeitig war die Kanzlerin Anfang des Jahres angeschlagen: Sie wirkte amtsmüde und wurde wegen der Flüchtlingskrise stark kritisiert. In diesem Umfeld konnte Martin Schulz auf einer Erfolgswelle reiten. Der Schulz-Effekt war also sicher nicht nur unbegründet.
Hat diese Euphorie die Kanzlerin wachgerüttelt?
Nicht nur die Kanzlerin, sondern die ganze Union. CDU und CSU haben realisiert, dass man einen gemeinsamen «Feind» ausserhalb der Partei hat, und nicht in den eigenen Reihen. Und dass man ihn gemeinsam bekämpfen muss. Seither tritt die Union geeint auf und die Kanzlerin hat ihren Ton verschärft.
Hat Martin Schulz überhaupt noch eine Chance bei der Kanzler-Wahl?
Geht man von der jetzigen Situation aus, würde ich sagen, dass die Wahl gelaufen ist; die Popularitätsblase von Schulz ist geplatzt. Aber wenn man bedenkt, wie sprunghaft die Umfragen derzeit sind, kann ich nicht ganz ausschliessen, dass sich dieser Trend nochmals ändert.
Ich spüre, dass in der deutschen Bevölkerung ein grosses Bedürfnis nach Sicherheit und Erhalt herrscht. Das ist der grosse Vorteil von Angela Merkel: Die Deutschen wissen, was sie an ihr haben. Deutschland geht es wirtschaftlich gesehen so gut wie noch nie – das wollen sich die Deutschen erhalten und sprechen der Union mit der regierenden Kanzlerin hier die grösseren Kompetenzen zu.
Und Merkel steht für ein starkes Deutschland in einem starken Europa: Sie hat sich dezidiert zu Donald Trump geäussert, Emmanuel Macron zum Schulterschluss getroffen und auch immer wieder das Gespräch mit Wladimir Putin gesucht.
Hatte Schulz jemals eine Chance?
Was man nicht vergessen darf: Martin Schulz tritt nicht gegen einen unbekannten Kandidaten an, sondern gegen Angela Merkel, die Frau, die seit 12 Jahren die Politik von Deutschland, von Europa und der Welt massgeblich prägt.
Erschwerend kommt hinzu, dass Schulz in der Vergangenheit auch Fehler begangen hat. Unter anderem hat er sich nach der anfänglichen Euphorie um seine Person sehr zurückgehalten, wenn es um Kritik an der Union ging. Damit hat er den ganzen Schwung verloren. Und Merkel ist gleichzeitig sehr sicher im Sattel.
Was muss Schulz tun, um noch eine Rolle in diesem Wahlkampf zu spielen?
Noch ist nicht alles verloren, der Wahlkampf beginnt jetzt erst richtig. Er hat Anfang der Woche erstmals wieder gepunktet mit seinem Entwurf für die Steuerpolitik. Dieser ist viel gemässigter als von einigen befürchtet. Damit bedient Schulz jenen Flügel der SPD, der in die Mitte tendiert und teilweise auch mit der Politik der Union sympathisiert. Für ihn wäre jetzt wohl wichtig, dass er sich deutlicher von der Union distanziert und auf Konfrontationskurs geht. Eine Taktik, die auch alt Kanzler Gerhard Schröder vertritt.