Nach dem Mord an dem russischen Oppositionsführer Boris Nemzow haben Ermittler Fernsehberichten zufolge möglicherweise das Fluchtauto der Täter gefunden. Der TV-Sender Rossija 24 zeigte das weisse Fahrzeug mit einem Nummernschild der russischen Teilrepublik Inguschetien, die im islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus liegt. Von den Tätern fehlte demnach allerdings jede Spur.
Der Nachrichtenagentur Tass zufolge wollte Nemzow nach dem Abendessen in einem Restaurant kurz vor Mitternacht am Freitagabend noch einen Spaziergang am Roten Platz machen. Dort wurden der Polizei zufolge Schüsse aus einem vorbeifahrenden, weissen Auto auf ihn abgefeuert. Seine Begleiterin - laut Medienberichten eine 23 Jahre alte Ukrainerin - überlebte das Attentat.
Die Ermittler schlossen zuletzt auch einen islamistischen Hintergrund für den Mord nicht aus. Gegen Nemzow habe es Drohungen gegeben, weil er den Franzosen nach dem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin «Charlie Hebdo» seine Solidarität ausgedrückt hatte, erklärten die Moskauer Behörden.
Tabubruch von Nemzow
Die russischen Untersuchungsbehörden gingen von einer Vielzahl möglicher Motive aus, sagt SRF-Korrespondent Christof Franzen: «Angefangen von einer privaten oder geschäftlichen Abrechnung bis hin zu einer grossen Provokation, wie man es nennt. Eine Provokation möglicherweise von westlichen Geheimdiensten oder auch von russischen Oppositionellen, um dem politischen System des Landes zu schaden.» Franzen glaubt, dass dies die Linie sei, die offiziell gefahren werde.
Auffallend sei allerdings, dass die Variante, jemand aus der militärischen oder politischen Elite könnte etwas mit diesem Mord zu tun haben, überhaupt nicht besprochen werde. «Das ist eigentlich verwunderlich, denn Boris Nemzow hat in den letzten Wochen immer wieder ein Tabu gebrochen. Er hat gesagt, dass der bewaffnete Konflikt in der Ukraine eine Folge der russischen Aggression sei», erklärt Franzen. Nemzow habe auch immer wieder wiederholt, dass in der Ukraine russische Soldaten kämpften und stürben. Beides wird vom Kreml vehement bestritten.
Trauerkundgebung statt Demonstration
Nach einer grossen Trauerkundgebung im Zentrum von Moskau an diesem Sonntag soll der Sarg mit dem Leichnam des Politikers im Sacharow-Menschenrechtszentrum aufgebahrt werden. Dort sollen die Menschen nach russisch-orthodoxem Brauch am Dienstag Abschied nehmen können von dem früheren Vize-Regierungschef. Anschliessend ist die Beisetzung auf dem Prominentenfriedhof Trojekurowo geplant.
Der frühere Vizeregierungschef sollte an diesem Sonntag bei einer Demonstration von Regierungsgegnern auftreten, die gegen den Krieg in der Ukraine protestieren. Bei vielen Besuchen in der Ukraine hatte er die neue prowestliche Führung in Kiew unterstützt. Er hoffte, dass der Funke der Revolution auf Russland übergreife.
Putin kontaktiert Mutter von Nemzow
Kremlchef Wladimir Putin hat den in Moskau erschossenen Oppositionspolitiker Boris Nemzow für seine Verdienste gewürdigt und zugesichert, sich vehement für die Aufklärung des Verbrechens einzusetzen.
«Es wird alles getan, damit die Organisatoren und Täter dieses hässlichen und zynischen Mordes ihrer verdienten Strafe zugeführt werden», versprach Putin in einem Beileidstelegramm an die Mutter von Nemzow. In dem vom Kreml veröffentlichten Schreiben lobte Putin Nemzow als aufrichtigen Politiker, der seine Position verteidigt habe.
«Boris Nemzow hat seine Spur in der Geschichte Russlands hinterlassen, in der Politik und im gesellschaftlichen Leben. Ihm fiel es zu, auf bedeutenden Posten in einer schwierigen Übergangszeit für unser Land zu arbeiten», hiess es in dem Schreiben.
Liberaler Reformer
Boris Nemzow wurde am 9. Oktober 1959 in der Schwarzmeermetropole Sotschi geboren. Vor allem in den 1990er Jahren hatte er sich als liberaler Reformer einen Namen gemacht. Unter dem russischen Präsidenten Boris Jelzin war Nemzow zwei Jahre lang Vize-Ministerpräsident.