1. Der Sieger hat wenig zu feiern
Zumindest eines lässt sich schon jetzt sagen: Die Unterhaus-Wahl gewinnen entweder die konservativen Tories oder die Sozialdemokraten von der Labour-Partei. So war es immer schon auf der Insel, wo sich die beiden grossen Parteien an der Macht abzuwechseln pflegen.
Trotzdem ist nichts wie früher. Der Sieg ist im besten Fall die halbe Miete. Denn alle Umfragen zeigen: Weder die Tories noch Labour kommen auf eine absolute Mehrheit im 650-köpfigen Parlament. Mehr noch – im Vereinigten Königreich war noch keine Wahl so unberechenbar wie diese.
Für den Sieger heisst das: Er muss sich auf die Suche nach Partnern machen. Einfach dürfte das nicht werden. Denn ohne Zugeständnisse gibt es die Unterstützung für einen Labour- oder Tory-Premierminister nicht. Die Mehrheitsbeschaffer werden sich ihre Hilfe teuer bezahlen lassen. Ganz egal, ob es um eine Koalition oder die Duldung einer Minderheitsregierung geht.
2. Das Zwei-Parteien-System zerfällt weiter
Bereits vor fünf Jahren musste Tory-Premierminister David Cameron eine Koalition mit den Liberaldemokraten von Nick Clegg eingehen. Für die Traditionalisten in seiner Partei war das damals schon ein Tabubruch. Eine Koalitionsregierung, das gab es seit 1945 nicht mehr.
Nur: Ohne Bündnisse geht nichts. Die Zahlen sprechen für sich. In den 1950er- und 1960er-Jahren vereinten Labour und die Tories rund 90 Prozent aller Stimmen auf sich. Heute müssen sie froh sein, wenn sie es auf zwei Drittel schaffen.
Sinnbildlich für die Entwicklung war die grosse TV-Debatte von Anfang April. Die Spitzenkandidaten von 7 Parteien duellierten sich da im Scheinwerferlicht. Vor fünf Jahren, als die erste solche Debatte überhaupt stattfand, waren es noch drei.
3. Das Wahlsystem ist nicht mehr zeitgemäss
Gewählt wird in 650 einzelnen Wahlkreisen. Das Prinzip ist einfach: Wer die meisten Stimmen hat, bekommt den Sitz im Unterhaus.
2011 stimmten die Briten über eine Reform des Wahlrechts ab. Der Versuch, das System zumindest etwas zu modifizieren, scheiterte deutlich. Dabei spricht vieles gegen das Mehrheitswahlrecht. Grosse oder regional starke Parteien profitieren unverhältnismässig von diesem «first past the post»-Prinzip. Die neue Realität vermag es dagegen nicht mehr richtig abzubilden.
Ein Beispiel: Die UK Independence Party (UKIP) von Nigel Farage liegt gemäss den aktuellen Prognosen bei Stimmenanteilen von 10 bis 13 Prozent. In Sitzen schlägt sich das aber kaum nieder. Die meisten Prognosen sagen UKIP höchstens eine Handvoll Mandate voraus.
Ganz anders sieht es für die Scottish National Party (SNP) aus. Ihr werden in Schottland massive Zugewinne vorausgesagt, vor allem auf Kosten von Labour. Die Konsequenz: Die Partei könnte mit national nur 3 bis 4 Prozent der Stimmen auf 40, 50 oder noch mehr Sitze in Westminster kommen.
4. Die Kleinparteien sind die Spielverderber
Die kleinen und regionalen Parteien werden auch bei dieser Wahl nur wenige Sitze erringen (einzige Ausnahme: die schottischen Nationalisten). Was aber nicht heisst, dass sie mit dem Wahlausgang nichts zu tun hätten – wenngleich eher indirekt.
Ein gutes Beispiel für solche «Störmanöver» dürfte die UKIP abgeben. Die Partei wird den etablierten Parteien in einigen Wahlkreisen Anteile wegnehmen, ohne aber den Sitz erringen zu können – der geht an eine dritte Partei. Diese Sitze fehlen den Tories oder Labour dann bei der Regierungsbildung.
5. Die Schotten reden mit – vielleicht sogar entscheidend
2010 war die Welt für Labour noch in Ordnung – zumindest in Schottland. Von den 59 schottischen Sitzen in Westminster errang die Partei 41. Das wird sich nun ändern. Labour dürfte massive Einbussen haben.
Die grosse Gewinnerin ist die linksgerichtete Scottish National Party (SNP). Ihr trauen die Umfragen 40, vielleicht 50 oder noch mehr Sitze zu. Zum Vergleich: 2010 gewann die SNP gerade mal 6 Sitze.
Das hat Folgen. Die SNP mit ihrer Chefin Nicola Sturgeon wäre die drittstärkste Kraft in Westminster. Und damit ein entscheidender Faktor bei der Regierungsbildung.
Eine Koalition mit den Schotten hat Labour zwar ausgeschlossen. Eine informelle Zusammenarbeit ist aber denkbar.
Für Labour und deren Chef Ed Miliband gäbe es das aber nicht gratis. Die Stichworte sind beispielsweise mehr Autonomie für die Schotten, eine weniger rigide Sparpolitik oder die britischen Atom-U-Boote, welche die Schotten lieber heute als morgen aus ihren Gewässern weghaben möchten.
6. Die Liberaldemokraten verlieren
Nach den Unterhaus-Wahlen 2010 war Nick Clegg, der Chef der Liberaldemokraten, der Mann der Stunde. Seine Partei hatte eben 57 Sitze in Westminster errungen. 57 Sitze, um die sich sowohl die schwer geschlagene Labour-Partei wie die Tories bemühten. Clegg entschied sich für die Tories – und führte die Liberaldemokraten in die Regierung, zum ersten Mal überhaupt in ihrer Geschichte.
Heute muss man feststellen: Besonders gut ist den «Lib Dems» die Regierungsverantwortung nicht bekommen. Sie haben damit ihre Hauptfunktion, die einer Protestpartei für enttäuschte Wähler, verloren.
Dafür, da sind sich die Umfragen einig, bekommen sie jetzt die Rechnung. Nur das Ausmass der Verluste ist noch unklar. Das heisst auch: Ob eine Neuauflage der Koalition mit den Tories rein rechnerisch noch möglich sein wird, ist völlig offen.
7. Die Wahl hat auch für die EU Folgen
Die Briten und die EU: eine Liebesbeziehung ist das nicht. So richtig deutlich wurde das im letzten Winter, als Brüssel eine Rechnung über 2,1 Milliarden Euro nach London schickte. Premierminister Cameron tobte, kündigte an, London werde nicht bezahlen – und war am Ende, je nach Betrachtungsweise, dann doch der grosse Verlierer (mehr dazu hier).
Nigel Farage geht mit seiner rechtspopulistischen UKIP schon länger erfolgreich mit Anti-EU-Parolen auf Stimmenfang. Sein Ziel ist klar – der Austritt.
So deutlich hat Cameron das bisher noch nicht gesagt. Doch auch ihn locken die Stimmen der EU-Skeptiker. Er will die Mitgliedschaft der Briten neu verhandeln – und dabei bessere Konditionen herausholen. Und Cameron verspricht: Im Falle einer Wiederwahl will er vor Ende 2017 ein Referendum über den Verbleib der Briten in der EU abhalten.
(SRF 4 News, 16.04., 17:00 Uhr)