Es kann SMS und MMS verschicken, hat GSM-Triband und eine Fotokamera: Das alte Klapphandy von Mussie Zerai. Das Handy wird nicht mehr hergestellt, auf dem Gebrauchtwarenmarkt ist es wertlos. Aber die Dienste dieses Telefons haben während sechs Jahren rund 6000 Menschenleben gerettet.
Als Graffiti an libyscher Gefängnismauer
Mussie Zerai kommt aus der eritreischen Hauptstadt Asmara und lebt in Erlinsbach im Kanton Solothurn. Mit 17 Jahren kam er nach Italien – mit dem Flugzeug. In Rom liess er sich zum Priester ausbilden. Heute betreut er die eritreische und äthiopische Diaspora in der Schweiz und gibt Menschen auf der Flucht mit seinem Telefon in lebensgefährlichen Situationen Hoffnung.
Angefangen hat es 2003, als Mussie Zerai mit einem italienischen Journalisten in Libyen als Übersetzer tätig war. In einem Gefangenenlager führten sie Interviews: «Die Schilderungen über das Erlebte und die Lebensumstände eines jungen Mannes haben mich derart schockiert, dass ich gesagt habe: Hier ist meine Handynummer, ruf mich an, wenn Du in Not gerätst.» Dieser Mann schrieb die Nummer an die Gefängnismauer – heute steht sie an den Wänden der Auffanglager und an den Decks von Schiffen. Jeder Bootsflüchtling kennt sie.
Trotz Ermittlungen nimmt er die Anrufe entgegen
Täglich bekommt Mussie Zerai Notrufe. Er hat die Nummer nie gewechselt. Das Telefon ist immer eingeschaltet. Bei einem Anruf versucht er das Maximum an Informationen von der Person auf dem Boot zu erhalten: Wie viele Personen sind an Bord? Wie lange sind sie schon auf offener See? Er ermittelt die GPS-Daten der in Seenot geratenen Anrufer und leitet diese weiter an die zuständige Küstenwache. Wegen dieser Anrufe ermitteln jetzt die italienischen Behörden gegen den Priester, wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung. «Ich werde sicher nicht aufhören, dies zu tun. Wenn du so einen Anruf erhältst, dann versuchst du alles Menschenmögliche, um diesen Leuten das Leben zu retten.» Er redet ruhig, aber sehr bestimmt.
Jeder, der einen solchen Anruf erhält würde alles Menschenmögliche tun, diese Leute zu retten.
Nummer über Radiostationen veröffentlicht
2011 gab jemand die Handynummer der Presse. Der Kontakt wurde in Tigrinya, der Sprache, die in Eritrea und Äthiopien gesprochen wird, verbreitet. Die Stationen Voice of America, Deutsche Welle, aber auch französische und italienische Sender liessen die Information über den Äther. Jeder der dieser Sprache mächtig war, hatte danach die Nummer. «Seither ist mein Handy eine öffentliche Anlaufstelle», erzählt Mussie Zerai.
Heute hat er ein neues Handy, die Nummer für die Bootsflüchtlinge ist noch immer kein Smartphone, aber ein anderes Modell als das Museumsstück. Wie viele Kontakte er gespeichert hat, kann der Priester nicht sagen. Er geht sowieso immer ans Telefon, es liegt neben seinem Bett. Und wenn die Nummer mit 0088 beginnt, dann ist es dringend: Es ist die Vorwahl eines Satellitentelefons.
«Das Handy soll ein Beispiel dafür sein, wie einfach es ist mit neuer Technologie, Menschen zu helfen.»
Für Friedensnobelpreis nominiert
Seit seinem ersten Anruf setzt er sich für die Flüchtlinge ein, hat dafür gar ein eigenes Hilfswerk gegründet. 2015 wurde er dafür für den Friedensnobelpreis nominiert, heute wird gegen ihn ermittelt. Dass man sein Handy jetzt im Museum anschauen kann, soll ein Zeichen setzen: «Es soll ein Beispiel sein, wie neue Technologie auf einfachste Weise viele Leben retten kann.» Deswegen habe er keine Sekunde gezögert, als die Anfrage des Kurators vom Museum für Kommunikation kam. Es soll ausgeschaltet diese wichtige Botschaft nach aussen tragen.
Museum für Kommunikation Bern
Vom Höhenfeuer bis zum Smartphone: Das Museum fokussiert ausschliesslich auf die Geschichte der Kommunikation und deren Hilfsmittel. Vor 110 Jahren hat die PTT das Postmuseum eröffnet. Nach deren Schliessung 2007 wurde eine neue Dauerausstellung kuratiert. Nach einer Gesamtrenovation Geschichte aufdatiert und eröffnet mit einer neuen Gesamtausstellung. |