Der Nationalrat berät am kommenden Mittwoch über die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative. Sollte er dabei den vergangene Woche präsentierten Vorschlägen der zuständigen Kommission folgen, ist mit Opposition aus dem Ständerat zu rechnen. In der kleinen Kammer, die sich gerne als juristisches Gewissen unter der Bundeshauskuppel sieht, ist kaum jemand zufrieden mit der vorgeschlagenen Lösung.
Vor allem Ständerätinnen und Ständeräte der CVP wollen über die Bücher, denn die CVP hatte in der Nationalrats-Kommission dem äusserst schlanken Vorschlag zum Durchbruch verholfen. Der Bündner Stefan Engler sagt klipp und klar:
Der Wortlaut dieses so genannten Kompromisses ist zu weit vom Volkswillen entfernt.
Vor allem im Bereich des Inländervorrangs gebe es Möglichkeiten, diesen zu verschärfen, sagt Engler. Und: «Das Thema Schutzklausel und damit die Frage, wenn die Einwanderung im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten um ein Mehrfaches höher ist, ob sie dann nicht eingegrenzt werden kann, auch das muss wieder zur Diskussion gestellt werden können.»
Die Kantone Kontingente einführen lassen?
Konrad Graber (CVP/LU) sieht das auch so. Er nimmt sogar das Wort «Kontingente» in den Mund, und zwar auf Ebene der Kantone: «Persönlich kann ich mir eine Verschärfung vorstellen. Ich denke, dass es die Gemüter beruhigen würde, die hier ein Umsetzungsproblem sehen.»
Zweitens sei es im Ständerat immer gern gesehen, wenn man den Kantonen Kompetenzen geben wolle und «es wäre wohl weniger problematisch, wenn das die Kantone tun würden, als wenn es die Schweiz täte.»
Es gehe immerhin um die Bundesverfassung, gibt Ständerätin Brigitte Häberli-Koller (CVP/TG) zu bedenken. Und deshalb ist auch für sie die Vorlage aus der Küche der Nationalrats-Kommission schwer geniessbar: «Ich würde sie in einigen Punkten nochmals ganz genau überprüfen und die wichtige Frage stellen, ob sie verfassungskonform ist.»
Und der Tessiner CVP-Fraktionspräsident Filippo Lombardi erklärt:
Ich bin dafür, dass man im Ständerat diese Lösung nochmals überprüft und allenfalls verschärft.
Allerdings, gibt Lombardi zu bedenken, dürfe das Resultat dann doch nicht so weit gehen, dass das Personenfreizügigkeits-Abkommen verletzt werde. Denn dazu habe das Schweizer Volk mehrmals Ja gesagt, und das sei auch Volkswille.
Näher zum Volkswillen bringen möchte die Vorlage auch die FDP. Der Aargauer Ständerat Philipp Müller sagt: «Der Ständerat wird sich in diesem zentralen Kernpunkt des Inländervorrangs sicher nochmals Gedanken machen über Wirksamkeit und Umsetzbarkeit.»
Ständeräte erwarten neue Volksabstimmung
Und eine erneute Volksabstimmung werde wohl nötig, ergänzt sein freisinniger Parteikollege, Andrea Caroni aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden: «Wir wollen ein Gesetz, das die Bilateralen wahrt und gleichzeitig die Verfassung umsetzt. Und da muss sich jemand bewegen. Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass wir dann Volk und Stände fragen, ob sie bereit sind, einen Schritt aufs Gesetz zu zu tun.»
Diese Meinung hört man auch links im Ständerat, bei der SP. Der Zürcher Daniel Jositsch findet, der Text in der Version des Nationalrates sei nicht mit der Masseneinwanderungs-Initiative vereinbar: «Es braucht dazu eine Verfassungsänderung, respektive eine Volksabstimmung.»
Bundespräsident Johann Schneider-Ammann wird also EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker beim Treffen kommende Woche kaum Entwarnung geben können. Das Parlament, so scheint es, wird die Zuwanderung wohl doch stärker steuern wollen, als es der EU lieb ist.
Hintergrund: Volksentscheid vom 9. Februar 2014
Volk und Stände hatten die Masseneinwanderungsinitiative der SVP am 9. Februar 2014 angenommen. Diese verlangt, dass die Schweiz die Zuwanderung mit Kontingenten und einem Inländervorrang steuern muss. Die Frist für die Umsetzung beträgt drei Jahre, läuft also im nächsten Februar aus. Beschliesst das Parlament bis dahin keine Umsetzung, muss der Bundesrat den Verfassungsauftrag vorläufig mit einer Verordnung umsetzen. Zudem müssen völkerrechtliche Verträge, die im Widerspruch zum neuen Verfassungsartikel stehen, ebenfalls innerhalb von drei Jahren neu verhandelt und angepasst werden. Das betrifft in erster Linie das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Diese hat der Schweiz aber bisher keine Verhandlungen über die Änderung des Abkommens zugestanden. Ob eine Einigung innerhalb des Abkommens zu Stande kommt, die eine einvernehmliche Umsetzung des Verfassungsauftrags erlauben würde, ist derzeit noch offen. |