Wassen – das Bergdorf mit seiner markanten Kirche auf dem Weg Richtung Gotthard. Mitten im Dorf wohnt Isidor Baumann. Der 60-jährige CVP-Ständerat blickt von seinem Wohnhaus direkt auf die Autobahn. Auf der Strasse Richtung Süden ist heute nicht viel los. Er beobachte häufig kilometerlange Staus.
Baumann will auch beobachtet haben, dass inzwischen nicht nur er eine zweite Röhre am Gotthard will, sondern auch eine Mehrheit der Urnerinnen und Urner. «Sie haben es satt, immer wieder über die gleiche Geschichte zu diskutieren», ist Baumann überzeugt. Zudem seien es die Urner auch leid gegenüber den Tessiner Nachbarn und der wirtschaftlichen Entwicklung immer wieder Sündenbock zu sein.
2011 sagten die Urner Nein
Allerdings sagte das Urner Volk erst 2011 bei einer kantonalen Abstimmung einmal mehr, dass es keinen zweiten Strassentunnel will. Die Ablehnung fiel mit 57 Prozent etwas tiefer aus als bei früheren Urnengängen. Baumann glaubt, dass sich dieser Trend fortsetzt.
Das Argument der Gegner, eine zweite Röhre könnte zusätzlichen Verkehr anziehen lässt er nicht gelten. In diesem zweiten Tunnel wäre ebenfalls nur eine Fahrspur offen. Und in wenigen Monaten werde die Neat eröffnet – Lastwagen würden dann auf die Schiene verlagert: «Endlich könnte das Verlagerungsziel der Alpeninitiative von 1994 umgesetzt werden. An diesem werden wir festhalten. So haben wir genügend Instrumente, den Mehrverkehr am Gotthard zu verhindern», ist Baumann zuversichtlich.
Als Befürworter tanzt er bei seiner Partei aus der Reihe. Die Urner CVP lehnt die zweite Tunnelröhre ab, obwohl CVP-Bundesrätin Doris Leuthard eine solche fordert.
«Neat-Milliarden für die Katz»
Weiter unten im Tal – in Altdorf – kämpft Hansruedi Stadler seit Jahrzehnten gegen eine zweite Gotthard-Röhre und für den Schutz der Alpen. Und zwar so wie ihn das Schweizer Volk 1994 beschlossen habe, der alpenüberquerende Güterverkehr gehöre auf die Schiene und nicht auf die Strasse. «Eine zweite Röhre ist für die Lastwagen der Umfahrungstunnel gegenüber der Neat. Die Milliarden, die wir in die Neat investiert haben, wären für die Katz», warnt Stadler.
Als tanzender Landammann wurde Stadler berühmt, als seinerzeit die Alpen-Initiative angenommen wurde. Er war Urner Regierungspräsident und sass später für die CVP im Ständerat. Heute ist er 62 und politisch nicht mehr aktiv. Ausser wenn es um den Gotthard geht. Der jahrlange Kampf zehre jedoch an den Kräften, sagt er. Die persönlichen Angriffe belasteten ihn – denn der Kampf sei verbissener geworden: «Alle die den Volksauftrag ernst nehmen, werden diffamiert und schlecht gemacht. Es braucht immer wieder mehr Mut zur Meinung zu stehen, als einfach zu schweigen.»
Wirtschaftliche Argumente für ein Ja
Bei den Befürwortern prallt Stadlers Kritik ab. Matthias Steinegger ist FDP-Präsident und führt das Urner Ja-Komitee an. Seine Seite kämpfe mit harten aber fairen Mitteln kontert er. «Man ist sich den politischen Widerstand bei uns im Kanton zu diesem Thema nicht gewohnt», beobachtet Steinegger.
Als Befürworter führt er wirtschaftliche Gründe ins Feld. Steinegger ist 40 Jahre alt. Bei der Abstimmung über die Alpen-Initiative war er 18 – ob er seinerzeit abgestimmt habe, wisse er nicht mehr. An den tanzenden Landammann und die fröhliche Stimmung im Kanton erinnere er sich aber gut. Doch das ist Vergangenheit. Jetzt sei es an der Zeit, dass eine zweite Tunnelröhre gebaut werde: «Es ist der aktuelle Lösungsvorschlag zu bearbeiten und nicht irgendwelche alten Geschichten», zeigt er sich zukunftsgerichtet
Zweifel an der Einspurigkeit
Steinegger gehört zur jüngeren Generation – aber auch diese ist sich nicht einig. Der 27-jährige Flavio Gisler ist ein CVP-Politiker der eine zweite Röhre bekämpft. Auch für seinen Geschmack wird die Gotthard-Debatte zu giftig geführt. Er glaubt nicht an das bundesrätliche Versprechen, dass eine zweite Röhre einspurig bleiben wird, obwohl das so in der Verfassung stehen würde.
Wie viele Leute dieses Unbehagen teilen ist schwierig einzuschätzen. Der Ausgang der Abstimmung dürfte knapp werden im Kanton Uri, der zusammen mit dem Tessin am stärksten betroffen ist.