Vor kurzem erreicht uns folgendes Mail von Virus-Hörer Stefan: «Seit Wochen dröhnt der Bass aus dem Zimmer meines Sohnes. Er hat beiläufig mal erwähnt, dass er auf Dubstep steht. Ich also rein ins Zimmer mit den Worten "Hey, cooler Dubstep den du da hörst". Er, Augenbraue in die Höhe: "Das ist Glitch Hop". Bringt doch bitte Mal einen Ratgeber für überforderte Musikfans!»
Okay Stefan, können wir machen! Wir haben uns bei den Kids umgehört und uns durch unzähliche Subgenres des Dubsteps durchgekämpft. Eine Übersicht:
Alles nimmt seinen Anfang in Südlondon, in der Zeit um die Jahrtausendwende. DJs wie Skream oder Benga bedienen sich bei Musikstilen, die Ende der 90er-Jahre in Londoner Clubs populär sind (Jungle, Garage, 2-Step, Drum'n'Bass, Dub), konzentrieren sich dabei allerdings auf das untere Ende des Soundspektrums.
Heisst im Klartext: Zu den funkigen Breakbeats (=zerhackte Drumsamples) des 2-Steps und den trockenen UK-House-Produktionen gesellt sich HAUFENWEISE BASS, sehr gerne auch «wobbelnd» (Damit ist dieser verzerrte «wub wub»-Effekt gemeint). Der Dubstep ist geboren.
2004 gründet der ursprünglich aus Schottland stammende Dubstep-Produzent Kode9 sein Label «Hyperdub» , welches bis heute eine der wichtigsten Adressen für zukunftsorientierten Dubstep ist.
Einer der ersten Acts, die Kode9 auf seinem Label unter Vertrag nimmt, ist Burial . Der Londoner Produzent lebt bis heute in totaler Anonymität und verzichtet auf Liveauftritte.
Burials zweites Album «Untrue» (2007) ist nicht nur das definitive Werk der frühen Dubstep-Zeit, es ist auch eines der bislang besten Alben dieses Jahrtausends. Das Album erscheint in unzähligen Jahresliste von Musikmagazinen und trägt so den Bergiff «Dubstep» in die weite Welt hinaus.
Burials Musik lässt sich nur schwer kategorisieren (darum hat er hier auch seinen eigenen Eintrag). Als «Untrue» erschien, wurde das Album im Dubstep eingeordnet. Betrachtet man die weitere Entwicklung des Genres (Siehe: Brostep), hat «Untrue» rückblickend betrachtet nicht mehr viel mit Dubstep zu tun. Nennen wir Burials Genre doch einfach «Der Soundtrack zu nächtlichen Busfahrten durch London».
Ende der 00er-Jahre beginnen Acts wie James Blake oder Mount Kimbie mit dem sehr dunklen, kargen Dubstep ihrer Vorgänger zu experimentieren. Sie orientieren sich an Dubstep-Produktionen der frühen 00er-Jahre - fügen allerdings Techno, House oder sogar R'n'B hinzu.
Das klingt auf der einen Seite experimentell, schafft dank des grösseren Fokus auf Vocals (neu darf auch gesungen werden!) aber gleichzeitig den Sprung in die Sets von Techno- und House-DJs - und im Falle von James Blake sogar in die Charts.
Disclaimer: «Post-Dubstep» ist kein wirkliches Genre, sondern mehr eine Schublade für jenstmögliche Musik die «irgendwie nach experimentellem Dubstep klingt».
Auch im Schottischen Glasgow wird Dubstep gehört. Die dortigen Dubstep-Produzenten setzen auf Synthie-Klänge, die wie Laser klingen, und zeigen sich experimentierfreudig was das Tempo ihrer Musik anbelangt (mal schneller, mal langsamer).
Das, was Produzenten wie Rustie oder Hudson Mohawke ca. 2009 in Glasgow machen, nennt sich «Wonky» (zu deutsch «locker»), klingt euphorischer und fröhlicher als die Produktionen aus London und hat deutlich mehr mit Hip-Hop-Beats und G-Funk zu tun.
Genrebezeichnungen sind für die Tonne. Oder: Wie genau unterscheidet sich die «Purple»-Musik von Produzenten wie Joker vom Glasgower «Wonky»-Sound? ¯\_(ツ)_/¯
Vielleicht ist es ja der verstärkte Einfluss von Videospiel-Ästhetik, vielleicht sind's aber auch einfach zwei verschiedene Namen für das exakt gleiche Ding.
And Now for Something Completely Different: Zur exakt gleichen Zeit, etwa 2010, nehmen amerikanische Elektro-Produzenten die ruppigsten, mainstreamigsten und brachialsten Dubstep-Produktionen aus England und DREHEN ALLE REGLER AUF 1000. WAH WAH WAH WAH KRRRRRONNNZ.
Schlussendlich klingt das wie das komplette Gegenteil der ursprünglich sehr subtilen Form von «Dubstep» - und trotzdem wird diese Musik ebenfalls so genannt.
Acts wie Skrillex halten Einzug in den Mainstream, werden zu Superstars und headlinen seither Festivals auf der ganzen Welt. Da sich an solchen Events gerne Tanktop- und Sonnenbrillen-tragende «Bros» aufhalten, wird diese neue Musikart von Dubstep-Puristen abschätzig als «Brostep» bezeichnet. Mittlerweile hat sich diese Bezeichnung aber auch bei den Protagonisten durchgesetzt.
Zurück zu «Wonky»: Hudson Mohawke stattet seine Musik mit noch mehr Pomp, Wumms und Eiern aus - und löst mit seinem neuen Projekt TNGHT eine «Trap»-Welle aus, die bis heute anhält.
Kanye West entdeckt TNGHT, baut deren Beats auf seinem Album «Yeezus» ein und beeinflusst damit eine neue Generation von Trap-Rappern (Trappern?).
YouTube, Soundcloud und die weite Welt der Bedroom-Bastler machens möglich: Mittlerweile haben sich unzählige Unterarten des Dubsteps etabliert. Hier hätten wir zum Beispiel «Chillstep», eine relaxtere und langsamere Variante des amerikanischen Brosteps...
...und das hier wäre «Deathstep»: die Verknüpfung von Metal und Brostep.
Ah ja, «Ganjastep»! Was könnte das wohl sein? Richtig: Brostep meets Reggae. #420blazeit
Zu guter Letzt: «Glitchstep» und «Glitch hop». Man nehmen Brostep und kombiniere ihn mit auseinandergehäckselten und wieder zusammengeschnitten Beats und Soundeffekten, die nach einem defekten Soundfile klicken («Glitches»). Fast so, wie es wohl in einem Ufo klingen würde. Voila: Damit hätten wir «Glitchstep» - beziehungsweise «Glitch hop» (mehr oder weniger das Gleiche, einfach mit ein bisschen mehr Hip-Hop-Einfluss).
(Übrigens: Wie schon bei «Dubstep» stand auch der Begriff «Glitch hop» mal für komplett andere Musik .)
Während den Recherchen sind wir ausserdem noch auf die folgenden Begriffe gestossen: Clownstep, Halfstep, Techstep, Neurostep, Lovestep, Thugstep, Wobblestep, Gorestep, Neurostep, Robostep, Hardstep, Drumstep, Substep, Skullstep. No Joke. Mag jemand die Liste weiterführen?