«Meilenstein»! «Klassiker»! «legendär»!
Was gibt es nicht alles für inflationär verwendete Begriffe für Künstler und deren Alben. Heutzutage wird links und rechts mit solchen Terminologien um sich geworfen.
Zum einen irgendwie verständlich, weil es halt einfach viel mehr Musik gibt als Anno 1999, zum anderen aber auch viel zu oft zu Unrecht. Denn im Doubletime-Redeschwall des superbegeisterungsfähigen Menschen mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Stechmücke, der Sachen als «GESCHICHTSSCHREIBEND!!!111» betitelt, die er bereits beim Entdecken des nächsten Streetfoodstandes nicht mehr beim Namen nennen kann, wird vieles schnell mal als «legendär» abgefeiert.
Wir definieren den «Klassiker»:
Da es aufgrund des überschnellen Wechselns von Trends kaum mehr möglich ist, den Überblick und einen kühlen Kopf zu wahren, versuche ich den Begriff «Legendenalbum» durch einige wenige, simple Attribute zu definieren:
- Keine Songs zum Skippen. All Killer, No Filler. Dir soll immer und immer wieder das Kinn in den Schoss klatschen.
- Neben den 2, 3, respektive 4 Überhits, die jedes grosses Album hat, denkst du beim Durchhören des ganzen Albums immer wieder «F***! DER Song ist ja auch noch drauf!»
- Genreprägend und Zeitgeist-widerspiegelnd
- (Klischee, aber wahr:) ZEITLOS GEIL muss es sein.
- Bei mindestens einem Song kann die ganze Welt mitsingen/-summen/-brabbeln.
«2001» von Dr. Dre: Ein waschechter Hip-Hop-Klassiker
Die gute Nachricht: Alle fünf obigen Punkte treffen bei Dr. Dre ’s zweitem Soloalbum «2001» zu 100% zu.
Und das, obschon der gute André auf 9 der 22 Tracks nicht mal selbst rappt und - sind wir ehrlich - sich die meisten Texte wahrscheinlich von Royce da 5‘9‘‘ , Eminem & Co. schreiben liess.
«2001» ist und bleibt ein Riesenwerk, welches vor allem auch wegen seinen grandiosen Produktionen von Dre und seinem Team (u.a. Mel-Man & Scott Storch) auftrumpft.
Das sind die (offensichtlichen) Hits des Albums:
- «Still D.R.E.» : Auch wenn man den Song wegen Überkonsum an jeder, aber auch wirklich jeder Hip-Hop-Party fast nicht mehr hören kann... die «bling-bling-bling-bling-bling»-Akkorde von Scott Storch und Snoop Dogg ’s Refrain machen den Track zu einem 800-Kilo-Gorilla unter den Wieseln und Mücken der Rapsongs dieser Welt.
- «Forgot About Dre» : Die nervösen Streicher, die ohrwurmige Leitmelodie in der Strophe, Eminems Strophe («So what do you say to somebody you hate? Or anyone trying to bring trouble your way? Wanna resolve things in a bloodier way? Then just study a tape of N.W.A»)… und Eminems Hook!
- «What’s the Difference» : Auf dem - meiner Meinung nach - härtesten Beat des Albums folgt das zweite Featuring von Eminem auf der Platte. Und obschon seine Strophe unglaublich ist («So what’s the difference between us? We can start at the penis»), der König auf dem Song ist ein übermotivierter Xzibit , der seine Motorsägen-Whiskygurgel-Stimme zu vollem Effekt einsetzt: «Never knew about the next level until Dre did it / I stay committed while you motherfuckers babysitted / Smash the critics with a overhand right from Riddick»
- «The Next Episode» : Dieser Beat erkennt jetzt wahrscheinlich jeder popkulturell halbwegs interessierte Mensch - und vermutlich auch alle anderen. Snoop Dogg killt erneut den Refrain und das «Smoke Weed Everyday»-A capella-Outro von Nate Dogg (genau 7 Schläge nach dem letzten Ton, zähl mit!) ist, da hätten wir's jetzt, legendär!
Mehr als nur Radiohits
Aber eben... Siehe Kriterium 2 in der Klassiker-Definition oben: Es sind eben auch alle anderen Songs die das Album so gross machen.
Die Interludes sind, wenn auch meistens von sexistischer Natur, lustig, Gangsta und - wie der Inhalt des gesamten Albums - gefälligst mit einigen Prisen Ironie zu verstehen (obwohl der oft für Misogynie gerügte Dre das vielleicht gar nicht so ironisch meint).
Ich sehe «2001» als Film, in den man sich breitbeinig hineinsetzt, das Auto anlässt und mit hinuntergekurbelten Fenstern durch die Hood cruist. Mein Lieblingssong: «XXplosive». Der schleppende Beat, die Gitarrenmelodie - für mich der absolut beste Song um sich in besagtes Auto zu setzen und sich massiv cool zu fühlen. Und genau deswegen höre ich Hip-Hop.