Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi hat es Beileidsbekundungen gegeben – auch aus dem Westen. Unter anderem äusserte sich der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis.
Gleichzeitig ist Iran eine umstrittene Diktatur – das Land und die Führungsriege sind mit Sanktionen belegt. Tim Guldimann ist Diplomat und war unter anderem Schweizer Botschafter in der iranischen Hauptstadt Teheran. Wie bewertet er die Stellungnahme von Cassis?
SRF News: Tim Guldimann, was halten Sie von der Stellungnahme von Ignazio Cassis?
Tim Guldimann: Er hat sein Beileid gegenüber den Familien und den Betroffenen geäussert. Das ist aus meiner Sicht absolut akzeptabel. Es geht ja darum, dass er in irgendeiner Form reagiert gegenüber einer Regierung, die jetzt betroffen ist vom Tod von zwei Spitzenpolitikern.
Trotzdem hält man sich an – sagen wir mal – diplomatische Regeln.
Angesichts der Tatsache, dass die Schweiz die US-Interessen in Iran vertritt, gibt es auch einen speziellen Aspekt in diesen Beziehungen. Und ich halte diese Stellungnahme absolut für okay.
Wie speziell finden Sie diese Beziehung?
Das ist eine Sonderrolle in den Beziehungen zu Iran, verglichen mit den Beziehungen der Schweiz zu anderen Staaten. Wir haben dort eine Aufgabe, und die Frage hat sich wahrscheinlich gestellt: Reagiert man überhaupt, oder wie reagiert man? Ich finde es richtig, dass man reagiert. Denn ja, auf der Welt von 193 Staaten gibt es eine Mehrheit, die nicht demokratisch regiert werden. Und trotzdem hält man sich an – sagen wir mal – diplomatische Regeln.
Es ist ja ganz klar, dass man in Moskau oder Peking anders reagiert als jetzt im Fall der Schweiz.
Und diese sehen eine solche Beileidsbekundung im Allgemeinen vor. Man kann natürlich auch immer nichts machen. Das ist auch nicht tragisch, aber in diesem Fall finde ich die Art der Formulierung absolut in Ordnung.
Was haben solche Beileidsbekundungen denn grundsätzlich für eine Rolle in der Diplomatie? Sind sie wichtig oder eher nicht so wichtig?
Ich glaube schon, dass sie eine Bedeutung haben in dem Sinne, dass ich davon ausgehe, dass die Regierung in Teheran mal schaut, wie reagieren denn andere Regierungen? Und in Teheran wird man sich schlau machen, wer wie reagiert.
Es ist klar, dass man in Moskau oder Peking anders reagiert als jetzt im Fall der Schweiz. Da hat man eine aus meiner Sicht recht beschränkte Form gewählt.
Sie haben auch bereits erwähnt, man hätte auch nichts tun, nichts schreiben können. Wäre das manchmal vielleicht in der Diplomatie der bessere Weg, anstatt ein halbgares Statement abzugeben?
Ich finde nicht, dass das ein halbgares Statement ist. Das ist ein Statement, das darin besteht, dass man reagiert hat.
Man wird in Teheran wahrnehmen: da gab es eine Reaktion.
Mit der Haltung der Schweiz gegenüber der iranischen Regierung entspricht das der Tatsache, dass man hier reagiert. Man hätte auch nicht reagieren können, aber das hätte ich jetzt nicht schlauer gefunden.
Was bringen Beileidsbekundungen wie jene von Aussenminister Cassis anlässlich des Todes des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi?
Ich glaube, das, was es bringt, ist, dass man in Teheran schaut, wer hat reagiert, wer hat nicht reagiert? Und die Schweiz hat vorsichtig reagiert. Wobei man sagen muss, das ist ja nicht das oberste Amt in Iran, sondern das ist ein Ministerpräsident in seiner Funktion unter dem religiösen Führer. Und trotzdem, man wird in Teheran wahrnehmen: da gab es eine Reaktion.
Das Gespräch führte Nico Bär.