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Daniela Vega in «Una mujer fantástica»
Legende: Die chilenische Sängerin Daniela Vega als Marina Vidal in «Una mujer fantástica». Pathé

Neu im Kino Eine transsexuelle Frau kämpft für ihre Würde

Im chilenischen Geschlechter-Drama «Una mujer fantástica» kämpft eine transsexuelle Frau für ihr Recht, sich von ihrem verstorbenen Partner zu verabschieden.

Die transsexuelle Hauptfigur im chilenischen Gender-Drama «Una mujer fantástica» muss sich immer wieder die Frage nach ihrem Geschlecht gefallen lassen.

Sie trägt Frauenkleider und nennt sich Marina Vidal, wurde aber als Mann geboren. So steht es in ihrem Pass. Ob sie sich operieren lassen habe, will ein zudringlicher Mann wissen. Marina antwortet, dass sich diese Frage nicht gehört.

War es ein Unfall?

Regisseur Sebastián Lelio sieht das genauso: Wenn Marina sich vor einem Polizeiarzt entblössen muss, bleibt die Kamera auf Augenhöhe und zeigt die Kränkung in Marinas Gesicht.

Dabei hat sie sich nichts zuschulden kommen lassen: Marina hat lediglich ihren Partner, den 20 Jahre älteren und geschiedenen Familienvater Orlando (Francisco Reyes), ins Spital gefahren, wo er einer Hirnblutung erlag.

Eine erwachsene Beziehung

Doch die Polizei ist misstrauisch. Sie bezweifelt, dass die blauen Flecken an Orlandos Körper nur vom Sturz auf einer Treppe stammen.

Hat der Mann Marina als Sex-Sklavin gehalten? Marina verneint. Ihre Beziehung war nicht pervers, sagt sie, sondern erwachsen. Sie äussert sich zurückhaltend, aber «Una mujer fantástica» lässt keinen Zweifel daran, dass es gegenseitige Liebe war.

Tanzendes Paar
Legende: Rückblende zu glücklichen Zeiten: Marina und ihr Partner Orlando (Francisco Reyes). Pathé

Falsche Fährten

Orlandos Familie will davon nichts wissen. Trauer stehe Marina nicht zu, findet Orlandos verbitterte Ex-Frau Sonia. Sie solle sich gefälligst von der Beerdigung fernhalten. Eine Chimäre sei Marina, giftet Sonia weiter – ein Mischwesen. Und genauso wirkt auch der Film, der teils widersprüchliche Elemente verbindet.

Der Regisseur bedient sich beim visuellen Vokabular des Film noir, wenn er Marina das Geheimnis eines Schlüssels ergründen lässt. Dann wieder taucht der Geist des Verstorbenen auf wie in einer Spukgeschichte.

Als Zuschauer tappt man ziemlich lange im Dunkeln, bis klar wird, was hier geschieht: Sebastián Lelio legt bewusst falsche Fährten und verdeutlicht so, wie leicht wir uns von Oberflächlichem ablenken lassen.

Ein Abschied in Würde

Marina ist keine kühle Femme fatale, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Sie will sich in Würde von Orlando verabschieden und nimmt dafür mutig sämtliche Anfeindungen in Kauf.

Die chilenische Sängerin und Leinwand-Debütantin Daniela Vega absolviert diesen Spiessrutenlauf mit Bravour: Vega ist selbst transsexuell und kennt Marinas Erfahrung mit Ressentiments aus eigener Erfahrung.

So enthüllt «Una mujer fantástica», die fantastische Frau, auf subtile Weise die wahre Perversion dieses Geschlechter-Dramas: Nicht der fliessende Übergang zwischen Mann und Frau schafft Leid, sondern die unbarmherzige Härte von Vorurteilen.

Kinostart: 31.08.2017

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 30.08.2017, 08:20 Uhr

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