Dorj (Bayarsaikhan Bayartsengel) und seine Frau Suren (Enerel Tumen) leben traditionell nomadisch in einer Jurte in der mongolischen Steppe. Die nächsten Nachbarn sind weit entfernt, ein Fahrzeug mit Fahrer muss erst gefunden und aufgeboten werden.
Als ein Arzt den Nomaden erklärt, dass die hochschwangere Suren nicht noch eine Fehlgeburt riskieren darf, müssen sie in die Stadt reisen. Begleitet werden sie von Fahrer Ganbaa (Bayanmunkh Purevjav), den Dorj alles andere als freundlich behandelt.
Landeier in der Stadt
Regisseur Batbayar Chogsom ist 1974 in der Mongolei geboren und lebt heute in der Schweiz. In seinem Erstlingsfilm erzählt er eine zeitgenössische Stadt-Land-Geschichte.
Es ist eine ebenso vertraute wie fremdartige Erzählung, welche der Sozialwissenschaftler Chogsom mit einer bestechenden Mischung aus Unschuld und Chuzpe auf die Leinwand bringt, in leuchtenden Bildern von Simon Bitterli.
Da ist einerseits der Kontrast zwischen dem nomadisch ursprünglichen Leben in der Steppe und dem Überlebenskampf in der grossen Stadt. Dies wird exemplarisch illustriert an den «Landeiern» Dorj und Suren und ihren eventuellen Gegenspielern in Ulaanbaatar.
Das erinnert an Filme und Geschichten, wie sie im westlichen Kino vor 80 bis 100 Jahren üblich waren, und dann später allenfalls noch im stereotypen Heimatfilm-Genre.
Da ist aber im Gegensatz dazu auch die wenigstens teilweise überraschend unerwartete Zeichnung der «Städter». Allen voran der desillusionierte Taxifahrer Jack, der mit seiner betagten Mutter in einem schlecht gewarteten Hochhaus lebt. Er streitet sich mit dem Hauswart/Vermieter, weil der Lift dauernd ausfällt und die Mutter die vielen Treppen kaum noch alleine schafft.
Der lesende Zuhälter und die gute Prostituierte
Vor allem aber streitet er sich resigniert mit seiner Mutter, die ihn nicht in Ruhe seine Bücher lesen lässt und ihn dauernd zu einer Heirat zu überreden versucht. Jack ist aber im Nebenjob auch noch der Zuhälter der schönen Saraa, deren Freier er zwischendurch auch mit Gewalt ausnimmt.
Auf eben diese Saraa trifft Dorj, nachdem er vergeblich versucht hat, die goldenen Ohrringe seiner Frau zu verpfänden, um ihre Spitalbehandlung bezahlen zu können. Wider Erwarten erweist sich Saraa als gute Seele, die ihm zum Sieg und Geldpreis in einem Karaoke-Wettbewerb verhilft. Worauf dann allerdings bald Jack wieder auftaucht.
Über den Erwartungen
Im Kern ist das tatsächlich die alte Geschichte der verlorenen Landeier in der bösen Grossstadt. Aber Regisseur Batbayar Chogsom hebt den kleinen Standard-Plot an allen Ecken und Enden weit über die Erwartungen hinaus.
Er zeichnet seine Figuren in ein soziales Umfeld und in ökonomische Verhältnisse hinein, die keinen Zweifel daran lassen, wie hart und unsicher das tägliche Leben in dieser Mongolei sein kann. Er gibt vor allem seinen Männerfiguren einen Hintergrund und eine Mehrschichtigkeit, die neugierig macht und immer wieder überrascht.
Wie das traditionelle Leben entgleitet
Dass die Frauen etwas eindimensionaler wirken, moralisch geerdeter, und vor allem im Fall der grossherzigen Prostituierten Saraa etwas gar klischiert ausfallen, mag auch damit zu tun haben, dass die Schauspielerinnen ihren Rollen weniger abgewinnen können als die Schauspieler – oder umgekehrt.
Was aber wirklich hängen bleibt nach diesem Film, ist das Bild der heutigen Mongolei. Die Steppen mit ihren Jurten und den Menschen, denen das traditionelle Leben immer mehr entgleitet. Und die Stadt Ulaanbaatar, der sich die Kamera mit der gleichen Neugier und dem gleichen Staunen annähert, wie es uns als Touristen wohl passieren würde.
Hervorragendes Handwerk
«Out of Paradise» ist ein Film der Kontraste, dem es dann doch gelingt, ein ganzes Bild zu zeichnen. Der Film vereint erstklassiges Handwerk auf fast allen Ebenen mit der leichten Naivität des Drehbuchs und dem zurückhaltenden Schauspiel. Musik, Sounddesign, Schnitt und vor allem die Kameraarbeit leisten alle eine Professionalisierung, welche die dramaturgische Bewegung vom «einfachen» Landleben zur «Komplexität» der Stadt zu einer Kreisbewegung schliesst.
Das macht diesen Film zu einem sanft symbiotischen Erlebnis, mit dem seltsamen Effekt, dass man ihn erst mal leicht beiseite wischt. Und dann merkt, dass er doch stärker in der Erinnerung bleibt, als man erwartet hätte.