«Lucky», so nennen die Bewohner eines Wüstenortes im Südwesten der USA ihren ältesten Bewohner: Ein schrulliger, 90-jähriger Mann, ein Eigenbrötler, der jeden Tag in seiner Gemeinschaft vorbeischaut, Kreuzworträtsel löst und in der Bar vergeblich versucht, sich eine Zigarette anzustecken.
Harry Dean Stanton («Paris, Texas»), der mittlerweile verstorbene US-amerikanische Schauspieler-Veteran, spielte diesen Mann. Regie führte der Schauspieler John Carroll Lynch, der unter anderem für seine Rolle in «Fargo» bekannt wurde.
SRF: Sie haben Ihren ersten Film als Regisseur mit dem 90-jährigen Harry Dean Stanton gedreht. Wie ist es dazu gekommen?
John Carroll Lynch: Man hat mir die Idee, eine Skizze und ein frühes Drehbuch geschickt. Was ich las, gefiel mir. Das Drehbuch basiert auf Erlebnissen und Sprüchen von Harry Dean Stanton und war sehr humorvoll.
Der Grund, warum ich zugesagt habe, ist einfach: Harry Dean Stanton hatte auch zugesagt. Ihn kannte ich bereits von ein paar Begegnungen, aber zusammen gearbeitet hatten wir nie.
Harry Dean Stanton spielte immer Figuren, die sehr nah bei ihm selbst waren.
Sie trafen als Regie-Neuling auf einen Schauspieler mit grosser Erfahrung. Wie lief die Zusammenarbeit?
Es gab drei Schwierigkeiten: Einerseits war da dieses Gefälle. Harry mit seinen 60 Jahren Berufserfahrung, das ist immens. Ich bin zwar auch seit 30 Jahren Schauspieler, als Regisseur aber bin ich unerfahren – und es sind zwei unterschiedliche Jobs.
Die zweite Schwierigkeit: Harry Dean Stanton spielte im Grunde immer Figuren, die sehr nah bei ihm selbst waren. Und drittens: Er war sich bewusst, dass dieser Film sehr nah bei ihm ist. Es sind seine Geschichten und Erlebnisse, bloss anders verwoben.
Ist Lucky nicht identisch mit Harry Dean Stanton?
Nein, auch wenn die Figur dieses alten Mannes in der Wüste klar von ihm beeinflusst ist oder dessen Erlebnisse sogar auf Harry Dean Stantons Leben fussen.
Wir haben auf dem Set oft darüber diskutiert, wie er das spielen soll: Dass er Lucky darstellt und nicht sich selbst – gerade bei dieser offensichtlichen Nähe. Er fand das manchmal recht anstrengend.
Doch «Lucky» ist ein fiktionaler Film. Alle Figuren rund um Lucky sind erfunden. Harry Dean Stanton lebte nicht in der Wüste und er war auch kein einsamer Mensch.
Das Publikum wird sich aber sicher seine Gedanken machen, was denn nun real ist und was Fiktion. Das ist ein Vexierspiel, mit dem der Film auch spielt.
Klar. Ungefähr das erste, was «Lucky» in dem Film sagt, ist: «Realismus ist ein Ding.» Das brachte auch ihm eine gewisse Distanz.
Schon auf dem Set gab es immer wieder Leute, die zu Harry gesagt haben: «Du, hast Du das wirklich erlebt?» Harry hat dann häufig nur abgewunken und gesagt: «Ach was, das ist nur eine fiktive Figur.» Das hat mich zum Lachen gebracht, weil Harry doch immer wieder sich selbst gespielt hat in seinen Filmen.
Der Film ist zu einer Hommage geworden.
Harry Dean Stanton ist letzten September 91-jährig gestorben und hat den fertigen Film nicht gesehen. Ist «Lucky» also doch eine Art Vermächtnis für ihn geworden?
Ja, eine Hommage. Das ist auch normal, so kurz nach seinem Tod. Aber ich hoffe, dass der Film in ein paar Jahren immer noch seinen Wert hat, auch wenn man das Leben des Schauspielers dahinter nicht kennt.
Das Gespräch führte Eric Facon.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 18.1.18, 9.02 Uhr