Eine Gruppe von Archäologen misst aus, macht Fotografien und zeichnet. Obwohl es ein Ferienmonat ist.
«Wir sind jetzt hier, weil dieser Fund so interessant ist», sagt Rita Paris. Sie führt die Gruppe als Chefarchäologin für die Via Appia Antica an: «So etwas haben wir in ganz Rom bisher noch nicht ausgegraben. Das hier ist ein ganz grosses Ding.»
Brüchige Architektur, klares Ambiente
Rita Paris führt den Besucher über das Grabungsgebiet. Sie erklärt jede Mauer und jede Räumlichkeit. So entsteht aus dem Puzzle der Ruinen vor dem geistigen Auge eine konkrete architektonische Realität.
«Alle diese Ruinenelemente bilden eine Weinbar! Hier wurde Wein verkostet und verkauft», erklärt die Archäologin. Das Ambiente dieser antiken Weinbar sei so gut erhalten, dass man genau erkennen könne, was damals wo getan wurde. Aber noch sei ihre Forschergruppe dabei, das Grabungsfeld zu erschliessen.
Weinbar neben der Rennbahn
Bei Grabungen auf dem immensen Gebiet der Villa dei Quintili wurden die Mitarbeiter von Rita Paris anfangs des Jahres fündig. Die Villa dei Quintili gehört mit ihren gewaltige und bis zu 15 Meter hohen Mauern zu den eindrucksvollsten Ruinen Roms, wird aber unbegreiflicherweise von Rom-Touristen nicht oft besucht.
Die zur Villa gehörenden Pferderennbahn liess Kaiser Commodus im 2. Jahrhundert errichten. Auf den Türmen der «carceres», jener Räumlichkeiten, in denen die Wagen für die Rennen untergebracht waren, stiessen die Archäologen auf Säle, deren Nutzung sie gleich erkannten.
Die 800 Quadratmeter grossen Säle, insgesamt drei, dienten der Weinkelterung, der Weinlagerung und der Weinverkostung. Alles an einem Ort.
Von der Rebe zum Traubensaft
Die Trauben für den Wein, so die Arbeitshypothese der Fachleute, stammten wahrscheinlich von den Weinfeldern, die zur Villa dei Quintili gehörte.
Der erste der drei Säle diente der Weinkelterung: Man sieht rechteckige Steinwannen. Darin wurden damals die Trauben mit den Füssen bearbeitet, um an den Rebensaft zu kommen. Dieser Saft floss durch unterirdische Terrakotta-Röhren – auch sie sind teilweise noch gut zu sehen – in den zweiten Saal.
Dort reifte der Rebensaft. Deutlich zu erkennen sind hier noch einige der so genannten «dolia» – grosse unterirdische Behälter aus Terrakotta.
Würze für den Wein
«Das ist ein ziemlich wichtiger Fund, denn nur anhand solcher Details verstehen wir die Funktionsweise der gesamten Anlage», erklärt Archäologin Rita Paris: «In den ‹dolia› reifte der Wein, aufgrund antiker Schriften wahrscheinlich einige Monate. Er wurde dann, typisch für den altrömischen Weingeschmack, mit verschiedenen Essenzen, vor allem Gewürzen, geschmacklich verfeinert.»
Essenzen, die in bis zu 30 Zentimeter hohen Tonbehältern aufbewahrt wurden, von denen ebenfalls einige entdeckt wurden.
Fast wie eine heutige Kneipe
Das gilt auch für den dritten Saal. Seine Anordnung und Ausstattung unterscheidet sich nur relativ wenig von Lokalen heute. Dieser Saal war den Kunden der antiken Weinbar vorbehalten.Man sieht den Eingangsbereich mit den Resten einer Tür und einige Sitzbänke sowie einem Schanktresen. Im Erdreich fanden die Archäologen Reste von verschiedenen grossen Krügen und Tonbechern, in denen damals der Wein ausgeschenkt und genossen wurde.
Erst muss Geld fliessen
Es gäbe noch einiges auszugraben. Doch obwohl es sich bei der antiken Weinbar um einen selbst für Rom recht ungewöhnlichen Fund handelt, hat die Verwaltung des Parks der Via Appia keine weiteren Finanzmittel mehr.
Deshalb setzt Rita Paris grosse Hoffnung auf eine enge Zusammenarbeit mit verschiedenen ausländischen archäologischen Instituten. Vielleicht findet sie so auch das Geld, um in der Nähe der neuen Grabungsstätte eine originalgetreue Rekonstruktion der antiken Weinbar errichten zu lassen. Mit funktionierendem Ausschank natürlich.