Drogen sind verpönt. Aber sie sind Teil unserer Gesellschaft. Das Vögele Kulturzentrum in Pfäffikon widmet unseren vielfältigen Abhängigkeiten nun eine Ausstellung.
Einer, der sich mit dem Thema Sucht und Abhängigkeit auskennt, ist Reda El Arbi. 15 Jahre lang nahm der Kommunikationsfachmann Drogen, heute ist er clean. Der Ex-Junkie im Gespräch über Faszination und Fluch der Sucht.
SRF: Gibt es etwas, wo Sie heute als Abstinenzler sagen würden: Das war früher in der Sucht einfacher?
Reda El Arbi: Die grundsätzlichen Lebensentscheidungen waren in der Sucht immer einfacher. Man hatte eine klare Priorität, alles andere war sekundär. Ob das besser war, würde ich bezweifeln. Aber einfacher war es.
Wir lebten nachts. Wir machten Kunst. Wir waren bleich.
Eine ehemalige Alkoholikerin hat mir gegenüber ihre Sucht einmal so beschrieben: Eine Sucht sei wie ein gewalttätiger Liebhaber. Furchtbar brutal also – aber eben auch ein Liebhaber. Wie sehen Sie das?
Das ist ein Schönreden, Romantisieren der Situation. Klar, in der Liebe können Abhängigkeiten entstehen. Und auch da kann man weitermachen, obwohl es schon lange nicht mehr gesund ist. Aber: Es sind immer zwei beteiligt.
In der Sucht gibt es kein Gegenüber. Man ist isoliert, man ist alleine. Mit der Personifizierung des Stoffs, der Sucht oder der Krankheit versucht man irgendwie auch, die Verantwortung abzuschieben.
Die Vorstellung, sich in einer Sucht fallen zu lassen und überhaupt keinen Konventionen mehr genügen zu müssen, hat auch etwas Faszinierendes. Hatten Sie damals das Gefühl: Mir sagt niemand mehr etwas – ich bin wirklich frei?
Dieses Gefühl hatte ich schon, bevor ich Drogen nahm. Ich habe mich damals ausserhalb der Gesellschaft gesehen. Insofern war der Schritt zu den Drogen – beziehungsweise zum Heroin, zur bösesten aller Drogen – der letzte Schritt «in die Freiheit».
Es war allerdings nicht unbedingt ein bewusster Entscheid. Es war die Entscheidung, tausend Abhängigkeiten gegen eine zu tauschen.
Gab es in der Szene damals ein spezielles Bewusstsein? Fühlten Sie und Ihre Kumpanen sich den «normalen» Bünzlis ein Stück weit überlegen?
Ja, schon. Zu Beginn hatten wir dieses «Vampir-Selbstbild». Wir hatten nur diesen einen Stoff, von dem wir abhängig waren. Wir lebten nachts. Wir machten Kunst. Wir waren bleich. Und wir verachteten die ganze Gesellschaft.
Als Süchtiger denkt man nicht über das Heute hinaus.
Es gibt diesen Spruch: Einmal Junkie, immer Junkie. Einverstanden?
Ja. Wenn man wie ich 15 Jahre in einer Sucht-Situation verbracht hat, eignet man sich Mechanismen an. Man hat Überlebensstrategien, die nicht verschwinden, wenn man aufhört zu konsumieren. Aber man kann sie für andere Zwecke einsetzen.
Können Sie ein Beispiel machen?
Als Süchtiger denkt man nicht über das Heute hinaus: Nur heute muss ich noch etwas konsumieren. Nur heute muss ich noch die Kohle organisieren.
Für mich persönlich ist dieses Kurzfristige in meinem heutigen Alltag eine gewisse spirituelle Hilfe. Ich muss nur die Probleme von jetzt lösen. Die Probleme von gestern kann ich nicht lösen. Und mit den Problemen von morgen setze ich mich auseinander, wenn sie da sind.
Ein anderes Beispiel ist das Lügen. Als Süchtiger muss man lügen. Das wiederum hilft mir heute in meinem Job zu erkennen, wenn jemand Bullshit erzählt. Das ist bei mir tief im Gefühl. Ich rieche, wenn jemand lügt, weil ich über 15 Jahre lang selbst ein professioneller Lügner war.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.