Manchmal klingt Brendan Simms in seinem Buch «Die Briten und Europa» wie ein Historiker, der aus der Zukunft auf die aktuellen Ereignisse zurückblickt: «Die Brexit-Abstimmung löste im Vereinigten Königreich und anfangs auch im übrigen Europa eine Krise aus», schreibt er.
Alte geopolitische Muster seien wieder hervorgetreten. Und weiter: «Nicht nur der Friedensprozess Nordirland stand auf dem Spiel, sondern auch die Souveränität und Sicherheit des Vereinigten Königreichs.»
Es ist ein einfacher, und doch wirkungsvoller Kunstgriff, den der irische Historiker am Schluss seines Buchs anwendet: Er historisiert die Brexit-Wirren der Gegenwart und schildert sie mit der nüchternen Distanz des Imperfekts. Das alleine hat etwas Wohltuendes in diesen aufgeregten Zeiten.
Insel versus Festland
Der Geschichtsprofessor aus Cambridge interessiert sich für die grossen Linien. Auf knapp 400 Seiten erzählt er, wie sich das Verhältnis zwischen der britischen Insel und Kontinentaleuropa seit dem Mittelalter entwickelt hat.
Es ist die Geschichte einer fast schon obsessiven Langzeitbeziehung: Zwei, die sich im Grunde stets fremd waren, und doch nie voneinander losgekommen sind.
Der Wille zur Abgrenzung
Aus dieser Langzeitbeobachtung ergibt sich eine überraschende Perspektive. Der Brexit erscheint so nicht als Unfall der Geschichte, eher als Ende eines Intermezzos. Denn dass sich Grossbritannien überhaupt so stark in ein Gebilde wie die EU einbinden liess, ist historisch gesehen erstaunlich.
Der Wille zur Abgrenzung und das Gefühl der Bedrohung sind historische Konstanten, die Simms in seinem Buch anschaulich herausarbeitet.
«Historisch gesehen war die Bedrohung bis Ende des Kalten Krieges da», sagt Simms. «Ich glaube, dass die Befürworter des Brexits diese Bedrohung aufgebauscht haben. Andererseits hat das Verhalten der Europäischen Union über die letzten zwei Jahre diesem Gedanken Auftrieb gegeben.»
Die EU hält Brendan Simms für ein Fehlkonstrukt. Im Buch beschreibt er sie als «moderne Form des alten Heiligen Römischen Reiches» – aufdringlich, aber glücklos, weil kein echtes staatliches Gebilde.
Ein Abschied wäre kein Unglück
Man müsse sie reformieren, meint Simms, und zwar nach dem Vorbild der Union zwischen England und Schottland im 18. Jahrhundert. Damals wurde die Macht entschieden an einem Ort zentralisiert. «Am britischen Wesen soll Europa genesen», sagt Simms.
Das aber heisst für ihn auch: Ein Abschied aus der EU in ihrer gegenwärtigen Form wäre für Grossbritannien kein Unglück. Entsprechend optimistisch zeigt er sich mit Blick auf eine Post-Brexit-Ära.
Wie der Brexit historisch zu bewerten sei, lasse sich frühestens in einigen Jahrzehnten beurteilen, meint Simms. «Wenn der Brexit rückgängig gemacht wird, dann wird man sagen: Das war alles nur eine Rebellion. Geschaffen teils von Ignoranten, teils von einmischenden auswärtigen Staaten wie Russland», erklärt er.
«Gelingt der Brexit, wird man sagen: Das musste so sein», so Simms. «Denn die britische Geschichte war fundamental anders als die des Festlands in Europa, und man ist einfach zum Ursprung zurückgekehrt.»
Er könne das aber nicht mit Bestimmtheit sagen, schliesslich könne er ja nicht in die Zukunft schauen. Ein Historiker der Zukunft ist Brendan Simms nicht – auch wenn sein Buch manchmal danach klingt.