«Ich war jung und wollte zuvorderst dabei sein», erzählt Heinz Fröhlich. Lebhaft erinnert sich der 85-Jährige an die Augusttage 1968.
Damals ist der gebürtige Deutsche schon mehrere Jahre als Fotoreporter für Aargauer Zeitungen unterwegs. In jenem geschichtsträchtigen Sommer weilt er in den Ferien bei seinen Eltern an der bayerisch-tschechoslowakischen Grenze.
Insiderwissen dank Polizeifunk
Für seine Arbeit hört Fröhlich regelmässig den Polizeifunk ab. «So erfuhr ich, dass drüben im Böhmerwald russische Panzer aufgefahren waren.»
Nie hätten wir gedacht, dass so etwas in Friedenszeiten passiert.
Befreundete Grenzer halten ihn auf dem Laufenden. Westlichen Journalisten sind die Beamten beidseits des Eisernen Vorhangs wohlgesinnt und lassen sie ohne Visum passieren.
Pflichtbewusst statt abenteuerlustig
Nicht aus Abenteuerlust habe er über den Prager Frühling berichten wollen. «Das war Arbeit, ein Auftrag. Nie hätten wir gedacht, dass so etwas in Friedenszeiten passiert.»
Natürlich war das idiotisch und ich hätte es nicht tun sollen.
Nun gilt es, gegen «die lähmende kommunistische Diktatur» und «das namenlose Unrecht» publizistisch anzukämpfen, wie es der «Aargauer Kurier» formuliert. Das ansonsten unpolitische grösste Gratisblatt im Kanton platziert seine Reportage aus Prag exklusiv auf der Frontseite.
Rebellischer Chronist
Als Heinz Fröhlich in Prag ankommt, ist die Innenstadt von Panzern und Soldaten der Roten Armee abgeriegelt. Seinen Wagen, einen britischen Austin Morris mit Kennzeichen AG 65324, parkiert er direkt vor den Tanks der Besatzer.
«Natürlich war das idiotisch und ich hätte es nicht tun sollen. Aber ich wollte beweisen, dass ich da war und habe deshalb die Szene fotografiert.»
Unzählige seiner Bilder halten fest, wie Einheimische verzweifelt und wütend gegen die Okkupation der sozialistischen Bruderländer demonstrieren.
Sie zeigen Männer, Frauen und Kinder, die ungläubig und ohnmächtig mitansehen müssen, wie fremde Armeen ihren Traum von einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz niederwalzen.
Dem Tod schon begegnet
Oft fotografiert Fröhlich von Trümmern übersäte Strassen und von Kugeln durchlöcherte Fassaden. Er sucht die Nähe zu den Menschen, nimmt Anteil am Leid eines ganzen Volkes, dokumentiert, wie Pragerinnen und Prager der Opfer mit Blumen und Kränzen gedenken.
Der Anblick von Verletzten oder Leichen ist für den Journalisten nichts Aussergewöhnliches. «Im Krieg habe ich viele Tote nach Luftangriffen gesehen. Deshalb war ich nicht schockiert».
Solche Dokumente finden wir äusserst selten im Aargau oder in der Schweiz.
Behindert wird er kaum bei seiner Arbeit. Natürlich ist sich Fröhlich bewusst, dass er als Berichterstatter auf der Hut sein muss. «Einmal wollten mich die Russen schnappen und mir die Kamera wegnehmen. Aber einem Einheimischen gelang es, mich in einem Keller zu verstecken, bis die Luft wieder rein war.»
Schatz im Staatsarchiv
Vor ein paar Monaten hat das Staatsarchiv zahlreiche Ordner und Schubladen aus seiner Wohnung in Schinznach-Bad nach Aarau geschafft: Aufnahmen von lokalem Brauchtum, Aargauer Traditionen, Unglücksfällen, Verbrechen – und vom Prager Frühling.
Daniel Schwane, Leiter der Abteilung Bestandsaufbau und Bestandserhaltung, ist begeistert. Besonders angetan ist der Historiker vom Fundus aus den Augusttagen 1968: «Solche Dokumente finden wir äusserst selten im Aargau oder gar in der Schweiz. Der Bilderschatz ist sehr dicht und thematisch reichhaltig – dies macht ihn aussergewöhnlich». Heinz Fröhlich habe sich immer für Menschen interessiert. Das sieht man deutlich in seinen Aufnahmen.
Lebensinhalt Fotografie
Heinz Fröhlich war ein leidenschaftlicher Chronist, der immer der Erste sein wollte. Während seines langen Berufslebens hat er für die Zeitung gelebt.
Sogar in der Freizeit war die legendäre Hasselblad stets griffbereit. Auch jetzt noch hantiert er sichtlich stolz an der Kamera.
«Der Prager Frühling war eines der spannendsten Ereignisse, das ich erlebt habe», resümiert der Mann mit den markanten Koteletten, der vor 50 Jahren ein wichtiges Kapitel des Kalten Kriegs verewigt hat.
Dass nun der Kanton Aargau sein Erbe aufbewahrt, ehre ihn: «So bleibt ein Stück Zeit- und persönlicher Lebensgeschichte erhalten.»