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Endo Anaconda zu Corona «Ich begreife mich als Antikörper»

Seit über 30 Jahren ist Endo Anaconda der Kopf und das Herz der legendären Schweizer Band «Stiller Has».

Derzeit wäre er auf Tournee mit dem allerletzten Album. Stattdessen sitzt er wegen der Coronakrise zuhause und denkt über sich und die Welt nach. Manchmal auch laut – so wie im Gespräch mit uns.

Endo Anaconda

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Endo Anaconda, geboren 1955 als Andreas Flückiger, ist seit über 30 Jahren Kopf und Herz der Berner Mundart-Band «Stiller Has». Deren letztes Album «Pfadfinder» erschien 2020. Neben der Musik schreibt Endo Anaconda Kolumnen und Bücher.

SRF: 7 Wochen Lockdown. Was fehlt Ihnen mehr: die Musik oder die Menschen?

Endo Anaconda: Ich vermisse es, meine Kinder und meine Freundin zu umarmen. Man spürt, dass wir Menschen auf körperliche Nähe, auf Empathie und Zärtlichkeit angewiesen sind.

Ein Mann mit geschlossenen Augen und einem Plüschhasen.
Legende: Was hat Endo Anaconda in der Coronakrise erkannt? «Wir Menschen sind auf körperliche Nähe angewiesen.» Manuel Liechti

Zu viel Nähe kann auch einengend sein. Sie selbst bezeichnen sich gerne als «beziehungsunfähig». Worin wurzelt das?

Vermutlich fing das schon früh an. Mein Vater starb durch einen Autounfall, da war ich vier Jahre alt. Ich erlebte, wie meine Mutter verzweifelte.

Sogleich zogen wir von Biel nach Österreich, ins konservative Kärnten, wo ich später in ein katholisches Internat gesteckt wurde. Dort gehörten Prügelstrafen zum Alltag.

Diese Traumata hinterliessen Spuren. Später griffen Sie zu Drogen, immer wieder: Alkohol, LSD, Heroin, Koks. Was haben Sie im Rausch gesucht?

Schutz vielleicht. Gegen den Schmerz, gegen die Überempfindlichkeit, den Weltschmerz.

Vielleicht gönne ich mir, wenn ich 80 werde, eine Opiumsucht.

Seit knapp einem Jahr sind Sie nüchtern. Wie muss ich mir den Entzug vorstellen?

Man muss sich aus dem Drogenumfeld entfernen, darf sich nicht der Versuchung ausliefern. Aber vielleicht gönne ich mir, wenn ich 80 werde, eine Opiumsucht. In der gegenwärtigen Situation wäre das aus gesundheitlichen Gründen unklug.

Sie werden 65. Das neue und allerletzte Album von «Stiller Has» heisst «Pfadfinder» – eine Anspielung auf die Klimajugend, die neue Pfade für unsere Gesellschaft findet?

Die Klimafrage ist eine der grössten Bedrohungen, die je auf die Menschheit zugekommen ist. Die Tatsachen werden erdrückend sein. Entscheidungsträger, die das nicht kapieren, werden obsolet.

Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir Menschen sein oder Datensätze?

Die einzige Hoffnung ist, dass das Denken etwas Virales ist. Sobald genug Menschen richtig denken, kann es einen Wandel geben. Ich selbst begreife mich als Antikörper.

Als Antikörper?

Die Welt ist von einem Virus befallen. Corona ist nur ein Symptom unter vielen. Weitere Symptome sind der Anstieg des Meeresspiegels, die Abholzung der Urwälder, die soziale Ungleichheit. Das sind alles Symptome eines falschen Denkens. Für die Welt ist das ein Schnupfen, aber nicht für uns Menschen.

Was ist der Kern dieses Denkens, das Sie als falsch empfinden?

Das Wachstumsdenken. Das gipfelt in der Erkenntnis: Die Erde ist zu klein, also müssen wir zu den Sternen. Der Tod ist ein Übel, also müssen wir versuchen, unsterblich zu werden, indem wir unser Bewusstsein digitalisieren.

Das halte ich für einen völligen Blödsinn. Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir Menschen sein oder Datensätze?

Haben Sie keine Angst vor dem Tod?

Vor dem Sterben schon, aber nicht vor dem Tod. Ich möchte aber nicht den Löffel abgeben, ohne Hoffnung für die Menschheit.

Die Welt braucht einen gemeinsamen geistigen Überbau.

Kann die Corona-Krise auch eine Chance sein, ein Weckruf?

Vielleicht. Auf einmal ist Burgfrieden und wir stehen zusammen. Es geht um etwas. Die Menschheit braucht ein globales Bewusstsein, aber wir müssen lokal handeln. Wir müssen unseren Konsum und unser Reiseverhalten überdenken: Eine ökologische Produktion, ohne Profit, aber mit Mehrwert.

Die Welt braucht einen gemeinsamen geistigen Überbau. Dann sehe ich grün. Sonst sehe ich schwarz.

Das Gespräch führte Yves Bossart.

SRF1, Sternstunde Philosophie, 3. Mai 2020, 11:00 Uhr ; 

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