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Fünf Jahre nach Charlie Hebdo «Es liegt im Ermessen des Zeichners, wie weit er geht»

Am 7. Januar 2015 drangen islamistische Terroristen in das Redaktionsgebäude des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo ein und töteten zwölf Menschen – darunter mehrere bekannte Karikaturisten.

Wie hat dieser Angriff die Arbeit von Schweizer Karikaturisten verändert? Cartoonist und Kolumnist Ruedi Widmer über die Grenzen der Satire, humoristischen Mehrwert und die Schere im Kopf.

Ruedi Widmer

Illustrator und Cartoonist

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Ruedi Widmer, geboren 1973 in Winterthur, ist gelernter Grafiker und arbeitete in der Redaktion der «Titanic». 2003 begann er mit Cartoons und Kolumnen für die WOZ, seit 2007 zeichnet er zudem für den «Tages-Anzeiger». Heute arbeitet er regelmässig für mehrere Print- und Onlinemedien.

SRF: Was hat der Anschlag auf Charlie Hebdo bei Ihnen ausgelöst?

Ruedi Widmer: Ich war schockiert. Ich habe es über Facebook erfahren, wahrscheinlich einige Minuten danach. Dann war da dieser Schrecken, dass so etwas Unglaubliches passiert.

Man stellt sich vor: Kann mir das auch passieren? Man fühlt sich zugehörig. Es ist ein Angriff auf eine Berufsgruppe, ein Angriff auf die Meinungsfreiheit.

Ich schaue, dass meine Zeichungen nicht so offensichtlich sind.

Zeichnen oder schreiben Sie heute eher mit einer Schere im Kopf?

Nicht unbedingt. Ich habe Themen die Islamismus betreffen auch weiterhin gezeichnet. Verändert hat sich eher die Art, wie ich arbeite. Vielleicht etwas versteckter und etwas verdrehter. Ich schaue, dass meine Zeichungen nicht so offensichtlich sind.

Gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass es solche Bedrohungen gibt und auch weiterhin geben wird – vor allem mit der Verbreitung der Bilder in sozialen Netzwerken.

Ich sehe es im Moment eher aus der Richtung des Rechtsextremismus. Ich kann mir sogar vorstellen, dass militante Umweltschützer in Zukunft auch ein Thema werden können.

Haben Sie seither ein anderes Verständnis dafür entwickelt, wo die Grenzen der Satire liegen?

Satire kann keine Grenzen haben, weil die Freiheit des Denkens grenzenlos ist. Es liegt im Ermessen des Zeichners, wie weit er geht.

Andererseits: Ist es überhaupt interessant, so weit zu gehen? Ich unterscheide zwischen bildlichen Witz-Zeichnungen, humoristischen Zeichnungen und Schmähzeichnungen. Letztere fallen für mich nicht mehr unter den Begriff der Satire.

Bei den Mohammed-Karikaturen vor einigen Jahren etwa handelte es sich um Schmähzeichnungen, die keinen weiteren Gehalt als Witz hatten.

Sie würden nicht sagen: Satire hat eine Grenze, wo religiöse Themen angesprochen werden. Sie zeichnen beispielsweise Frauen in Burkas.

Die Grenze liegt bei der Absicht der Zeichnung. Es gibt etwa Karikaturen, die von Parteien verbreitet werden, die sich des Stils der Karikatur bedienen, aber eigentlich keine humoristischen Zeichnungen sind.

Dort ist meine Grenze: Wo es nur darum geht, jemanden schlecht zu machen und kein humoristischer Mehrwert dahintersteckt.

Der Anschlag auf Charlie Hebdo hat ihre Arbeit im Grundsatz also nicht verändert?

Nein. Aber das liegt eben daran, weil meine Zeichnungen irgendwie nicht so krass wirken, wie sie vielleicht manchmal inhaltlich sind.

Das ist sicher auch ein Schutzmechanismus in meinen Zeichnungen. Ich habe das Gefühl, man kann nicht diese Wut entwickeln, wenn man so eine Zeichnung betrachtet, auch wenn sie inhaltlich sehr böse ist.

Aber ich fühle mich weiterhin frei und ich habe eine Art eigene Schere im Kopf. Wenn es für mich nicht stimmt, fühle ich sie. Aber von aussen wurde mir nie aufgezwängt, mich zu mässigen.

Das Gespräch führte Marlen Oehler.

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