Katell Pichon und Arnaud Pommiès arbeiten als Eisenbahner im Bahnhof Juvisy, südlich von Paris. Mit 13 Gleisen und rund 35 Millionen Passagieren pro Jahr ist Juvisy einer der grössten Knotenpunkte der französischen Staatsbahn SNCF vor den Toren der Hauptstadt.
Katell Pichon ist dort für Lautsprecher-Ansagen zuständig, Arnaud Pommiès ist Weichensteller. Beide arbeiten im kräftezehrenden Schichtdienst. Beide lehnen die Bahnreform ab.
Längster Streik seit 23 Jahren gescheitert
Im Frühjahr hatten die Gewerkschaften Streiks organisiert, um den Umbau der SNCF zu stoppen: Von April bis Ende Juni kam es jeweils an zwei von fünf Tagen zu Arbeitsniederlegungen. Der Zugverkehr wurde dadurch an 36 Tagen gestört. Millionen Pendler waren von Zugausfällen betroffen. Es war der härteste Konflikt seit 1995.
Katell Pichon ist von keiner Gewerkschaft überzeugt, Arnaud Pommiès hat Sympathien für die radikale Gewerkschaft CGT, ist aber bislang nicht beigetreten. Trotz kritischer Distanz haben sich seine Kollegin und er an den Streiks beteiligt.
Bahnarbeiter als Bollwerk gegen die Liberalisierung
«Ich wollte ein Zeichen setzen», sagt Pichon, «obwohl ich von Anfang an befürchtete, dass es eine verlorene Sache sein würde.» Der 45-Jährigen geht es weniger um berufsspezifische Privilegien als vielmehr um die Grundrechte aller Arbeitnehmer. «Wenn die Bahnarbeiter fallen, ist niemand mehr da, um Gegenwehr zu leisten», sagt sie.
Auch ihr Kollege ist überzeugt, dass die Bahnreform ein weiterer Schritt ist zur Liberalisierung des französischen Arbeitsmarktes. Pommiès ist seit 2016 sensibilisiert. Damals verabschiedete die Regierung unter Ex-Staatspräsident François Hollande trotz landesweiter Proteste die Lockerung des Arbeitsrechts.
Gegen die Ellbogengesellschaft
«Man hat uns erklärt: Um Arbeitsplätze zu schaffen, muss es den Firmen leichter gemacht werden, zu kündigen», sagt Pommiès. «Dabei konnten sie das vorher schon.»
Er selbst ist nicht kündbar – ein Privileg der SNCF-Beschäftigten, das ab 2020 gestrichen wird. «Ich bin aber nicht bereit, die zukünftigen Arbeitsbedingungen meiner Tochter zu opfern.»
Der 47-Jährige zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der kaum noch Renten gezahlt werden, in der die Löhne fallen und Arbeitnehmer immer einfacher gefeuert werden können. «Eine Welt, in der jeder für sich allein kämpft – das will ich verhindern, deshalb habe ich gestreikt.»
Kein Urlaub wegen Streik
Katell Pichon hat zehn Tage ausgesetzt, Arnaud Pommiès 14 Tage lang. Sie finden das wenig, bewundern Kollegen, die an allen 36 Tagen gestreikt haben. Trotzdem mussten auch sie Gehaltsverluste einstecken, die sie und ihre Familien nun immer noch belasten. Pichon strich ihren Sommerurlaub, Pommiès kürzte seiner Tochter das Taschengeld.
Finanzielle Einbussen stecke er leichter weg als die emotionale Belastung. «Ich fühle mich isoliert, weil sich gute Freunde und Verwandte, die ebenfalls bei der SNCF arbeiten, nicht gerührt haben», sagt Pommiès. «Wie kann ich ihnen verständlich machen, dass dieser Kampf uns alle betrifft?»
Der Widerstandsgeist ist nicht erloschen
Das Parlament hat die Bahnreform Mitte Juni mit grosser Mehrheit verabschiedet. Katell Pichon und Arnaud Pommiès sprechen von einer formalen Niederlage, geschlagen fühlen sie sich aber noch lange nicht. Beide sind überzeugt: «Der gesellschaftliche Widerstand fängt gerade erst an.»
«Obwohl mich die anstehenden Reformen nicht direkt betreffen, fühle ich mich für die Zukunft unserer Gesellschaft verantwortlich», sagt Pommiès. «Die führenden Politiker wollen Frankreich so organisieren, dass hier die besten Profite erzielt werden können. Super! Ich würde auch gerne doppelt so viel verdienen. Aber auf wessen Kosten geht das? Diese Frage müssen wir beantworten.»