Was für ein Auftritt: Die neue Dior-Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri zeigt 2016 in ihrer ersten Kollektion ein Model mit einem weissen T-Shirt. Darauf steht der Satz «We should all be Feminists» – «Wir sollten alle feministisch sein» – ein Zitat der nigerianischen Autorin Chimamanda Ngozi Adichie.
Mode mit einer gesellschaftspolitischen Message: das ist das Credo der ersten Frau an der Spitze des Modeunternehmens Dior. Damals wie heute.
Ein T-Shirt als Totem
Dementsprechend ziert dieses T-Shirt das Cover des kürzlich erschienenen Fotobands «Her Dior: Maria Grazia Chiuri’s New Voice». Die italienische Fotografin Brigitte Niedermair zeigt das Shirt nicht an einem Model, sondern streift es einem Holzpfahl über.
Dieser ist in Wahrheit eine Sitzbank aus jener legendären Show. «Ich habe mit diesem Foto ein Totem schaffen wollen, um diesen doch historischen Moment in der Mode festzuhalten», so die Fotografin.
Mode für und von Frauen
Das grossformatige Fotobuch vereint 33 Fotografinnen und ihren Blick durch die Kameralinse auf Chiuris Kreationen. Maria Grazia Chiuri ist der Ansicht, dass Mode für Frauen auch von Frauen gemacht werden solle. Sie interpretiert alles feministisch: ihre Kollektionen, die Modeschauen, das Werbematerial.
«Mein Traum, mein Bestreben ist, dass wir Frauen uns mit unseren eigenen Augen sehen. Und deshalb glaube ich auch, dass es so wichtig ist, für die Bilder, die über uns alle sprechen, den Blick einer Frau zu verwenden», schreibt Chiuri im Vorwort.
Andere Ansichten zu zeigen ist vielen Fotografinnen wichtig. Die holländische Fotografin Alique zeigt ein Model von hinten. Sie setzt den muskulösen Rücken in Szene, so dass dem bestickten Tüllkleid eine Nebenrolle zukommt. Augenfällig viele Fotografinnen im Buch «Her Dior» beschäftigen sich mit der Rolle der schwarzen Frau.
Opulenz, Blusen, Leder
Bei Maria Grazia Chiuris Mode geht es um Opulenz, kombiniert mit strengen Schnitten, hochgeschlossene Blusen, Leder. Chiuri erzählt in ihren Modeschauen Geschichten. Auch in ihrer jüngsten Kollektion «Disturbing Beauty»: Sie erschafft Traumwelten, zeigt eine Tanzgruppe in einem Schloss, verwunschene Wesen im Wald.
Die französische Fotografin Sarah Moon hat ebenfalls Bilder inszeniert, welche dieses Traumtänzerische kunstvoll in Schwarzweiss-Aufnahmen verpacken. Ist da Cinderella? Moon spielt mit Grobkörnigkeit und Bewegungsunschärfe.
Feministisch, aber bitte jugendlich
Die bekannteste Fotografin des Buchs ist die US-Amerikanerin Nan Goldin: Einst dokumentierte sie in ihren Arbeiten Drogenexzesse oder Gewalt. Für Dior hat sie sinnliche Bilder geschaffen.
Es sind Innenaufnahmen, das Licht ist weich wie die Kissen. Ein Foto zeigt eine zusammengekuschelte junge Frau in einem leuchtroten Tüllkleid. Sie wirkt, als sei sie eben von einem Ball heimgekehrt.
Augenfällig ist, dass die Aufnahmen junge Frauen zeigen. Das erstaunt – ist der gesellschaftliche Diskurs über die Wertschätzung des Alters doch vermeintlich weiter. Chiuri hingegen macht den Jugendlichkeitswahn des Modebusiness offenbar mit. Eine Ausnahme bildet die Arbeit der Britin Katerina Jebb, die als Model die über siebzigjährige japanische Künstlerin Setsuko Klossowska de Rola zeigt.
Der weibliche Blick
Beeindruckend sind auch die Fotos der Mexikanerin Maya Goded. Eine Frau reitet auf einem Pferd. Sie trägt einen Sombrero und ein ausladendes Kleid. Das verspielte Muster des Kleides findet seine Entsprechung in den Wolken und in der Vegetation.
Das Bild versinnbildlicht Maria Grazia Chiuris weiblichen Blick: Stärke, Verspieltheit, Folkloristisches im besten Sinne und die Kraft des Geschichtenerzählens.