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Kunst Max Liebermann: vom Kunst-Olymp in die Vergessenheit

Mit der Ausstellung «Max Liebermann und die Schweiz» in der Winterthurer Stiftung Oskar Reinhardt gelingt erstmals seit 70 Jahren eine Liebermann-Retrospektive. Die Schau gibt zudem eine Lektion über den Kunstmarkt: Sie zeigt, wie nahe Aufstieg und Fall eines Künstlers beieinander liegen.

«Max Liebermann und die Schweiz» – so heisst die neue Wechselausstellung im Museum Stiftung Oskar Reinhart in Winterthur. In dieser Sonderschau hat der Museumsdirektor Marc Fehlmann 80 Bilder und Zeichnungen zusammengetragen, die in Schweizer Museen und Privatsammlungen hängen. Fehlmann hat dabei die gradlinigste Erzählform gewählt: die Chronologie.

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So tritt man zuerst ein in die Zeit nach 1870, in der Max Liebermann, Sohn eines vermögenden jüdischen Industriellen, viel in Holland und Paris unterwegs war. In dieser Phase befasst sich Liebermann mit den holländischen Altmeistern, er lässt sich vom kargen Leben der Bauern packen und berühren. Mit gedämpften Farben und viel Braun bannt er die Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm realistisch auf die Leinwand. Oder das kleine Mädchen, das ganz allein auf der weiten Weide unter dem hohen Himmel eine Ziege hütet.

Damals der bedeutendste Künstler

Ein Bild in Gelbtönen zeigt einen älteren Mann, der in Anzug und Krawatte malend vor einer Staffelei steht.
Legende: Max Liebermann (1847-1935) im Selbstporträt von 1916. Wikimedia

Später, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, lässt sich Liebermann vom Licht, der Atmosphäre und dem energischen Pinselstrich der Impressionisten inspirieren. Edouard Manet ist sein grosses Vorbild – noble Gesellschaften am Meer, Pferderennen, die fantastische Blumenpracht vor seiner eigenen Villa am Wannsee sind die Sujets.

«Liebermann gehörte aufgrund seiner familiären Vermögensverhältnisse zu den Spitzen der deutschen Wirtschaftselite», erklärt Museumsdirektor Marc Fehlmann. «Er wusste genau, wie diese Gesellschaften funktionieren. Es ist nur verständlich, dass er auch deren Freizeitvergnügen mit Pferderennen und dergleichen darstellt. Das sieht man auch bei Manet oder Degas – das waren ebenfalls nicht Kinder armer Eltern.»

Max Liebermann, der in seinem Palais gleich neben dem Brandenburger Tor oder in seiner Villa am Wannsee wohnte, hatte keine Probleme, seine Bilder zu verkaufen. Im Gegenteil: Seine Portraits und Landschaften waren extrem begehrt und teuer. Marc Fehlmann vergleicht Liebermann mit dem deutschen Maler Gerhard Richter: «Er war der Gerhard Richter von heute, weil er der bedeutendste deutsche Künstler zu seinen Lebzeiten am Ende des Deutschen Kaiserreichs war, und der am teuersten bezahlte deutsche Künstler auf dem Kontinent vor dem Ersten Weltkrieg.»

Ein stolzer Preis für ein kleines Bild

Um 1900 gehörte es quasi zum guten Ton, einen Liebermann zu haben. Auch für den Winterthurer Sammler Oskar Reinhart, der allerdings erst 1913 auf den Geschmack kam – dann, als Liebermann am teuersten war. 9000 Reichsmark blätterte Reinhart damals für das kleinformatige Bild «Kind mit Apfel» hin. Marc Fehlmann, der Direktor der Stiftung Oskar Reinhardt: «Für einen 28-Jährigen, der sich einen Betrag von über einer Million nach heutiger Kaufkraft für ein Werk leisten kann, ist das ein stolzer Preis.»

Es ist Reinharts erstes Liebermann-Bild. Marc Fehlmann dazu: «Reinhart wollte eine seriöse Sammlung aufbauen und deshalb war es ihm wichtig, dass er nur gute Bilder kauft. Und das Werk, das er da gekauft hat, galt damals als ausgezeichnetes Werk von Max Liebermann.» Später kaufte der Winterthurer Sammler noch drei weitere Werke des deutschen Impressionisten.

Nach 1933 galt Liebermanns Werk als entartet

Die Karriere des jüdischen Malers endete 1933 abrupt. Mit der Machtübernahme durch die Nazis erhielt Max Liebermann ein Ausstellungs- und Malverbot. Sein Werk galt als entartet. 1935 starb der Maler 87-jährig, seine Frau nahm sich vor der Deportation das Leben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet das Werk Liebermanns zwar nicht in Vergessenheit. Doch die Wertschätzung seiner Kunst war bei weitem nicht mehr dieselbe wie 1913, als Oskar Reinhart für Liebermanns «Kind mit Apfel» tief in die Tasche greifen musste. Marc Fehlmann: «Die Verfemung und Entartung seiner Werke hat dazu geführt, dass er in Deutschland versteckt wurde. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde er als sozialistischer Maler von der DDR vereinnahmt, allerdings nur das realistische Frühwerk. Währenddessen konnte die junge BRD mit seinem Werk nicht mehr viel anfangen, denn es war mit Scham behaftet aufgrund des Schicksals seiner Werke und seiner Familie.» – So wird die Ausstellung über Max Liebermann auch zu einem Lehrstück über die Willkür und die Ränkespiele des Kunstmarkts.

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