Maryse Condé ist eine Brückenbauerin zwischen den Welten: Aufgewachsen ist sie in Guadeloupe. Dort wurde sie als Tochter einer wohlhabenden Familie gross. Diese hatte die französische, weisse Kultur völlig verinnerlicht und sich von der schwarzen Bevölkerung abgegrenzt, obwohl sie selber schwarz war.
Condé brach aus dieser Welt aus: Sie ging für ihr Studium nach Paris und schärfte dort ihr Bewusstsein über die Geschichte der Sklaverei. Danach lebte sie lange in Westafrika. Heute wohnt die 81-Jährige in New York.
«Die Sklaverei ist nicht tot»
Diese Reichhaltigkeit der kulturellen Einflüsse macht auch ihre Literatur aus: Sie dreht sich um die Fragen einer schwarzen Identität – um kulturelle und sexistische Formen der Ausgrenzung. Ihre Figuren sind oft rebellische Frauen, die das Erbe der Kolonialzeit auf ihren Schultern tragen. Condé sagt: «Die Sklaverei ist nicht tot. Sie wird nur in einer akzeptableren Form fortgesetzt.»
Condés Literatur bleibt immer in einem harten, kritischen Realismus verhaftet und ist dennoch nicht ohne Poesie. Zu ihren wichtigsten Werken gehören «Segu. Mauern aus Lehm» (1984), «Insel der Vergangenheit» (1997) und «Victoire» (2011).
Neben Maryse Condé waren auch die kanadische Schriftstellerin Kim Thúy, Neil Gaiman aus Grossbritannien und der japanische Schriftsteller Haruki Murakami unter den Finalisten. Haruki Murakami hatte sich aus dem Final zurückgezogen. Er wolle sich auf sein Schreiben konzentrieren. Dass sich der japanische Bestsellerautor Chancen auf den echten Literaturnobelpreis ausrechnet, dürfte hierfür wohl auch eine Rolle gespielt haben.
Neue Jury, neuer Preis
Die « Neue Akademie » versteht sich als eine Bewegung von unten. Selbst das Preisgeld werde alleine aus einem Crowdfunding-Projekt von der Öffentlichkeit zusammengetragen, wie die Initiantin Alexandra Pascalidou auf Anfrage bestätigt.
Mitsprache und Transparenz, Offenheit und Respekt sind für die Jury Werte, für welche die Literatur einstehen soll. In einer Zeit, in der menschliche Werte zunehmend infrage gestellt würden, werde die Literatur zu einem Gegengewicht gegen die Unterdrückung und das Schweigen, schreibt die Jury.
Die Forderung nach Demokratie und Transparenz ist auch ein Seitenhieb gegen die elitäre und verschwiegene Schwedische Akademie, die den Literaturnobelpreis verleiht. Dass es diese «Neue Akademie» anders machen will, zeigte sich schon im Modus der Preisvergabe. Jede und jeder durfte über die Finalisten mitbestimmen: aus einer Liste von 46 Nominierten, die aus Vorschlägen von Bibliothekarinnen in ganz Schweden zusammengetragen worden waren.
Sendung: Radio SRF, Nachrichten, 12.10.2018, 14:00 Uhr