Wenn man auf den Titel schaut, könnte man meinen, «Aufstieg und Fall grosser Mächte» sei ein Sachbuch. Ist es aber nicht, sondern ein Roman, der vor dem Hintergrund einer Welt spielt, die sich in den letzten 25 Jahren rapide gewandelt hat. Man denke nur an die vielen kulturellen, politischen Umwälzungen und technologischen Veränderungen. Diese spielen eine Rolle in diesem Buch.
Frau ohne Wurzeln
In allererster Linie geht es aber um das Einzelschicksal von Tooly Zylberberg, einer etwa 30-jährigen Buchhändlerin. Und um die Frage, wo Menschen hingehören und wer für sie da ist. Was es bedeutet, ein Zuhause zu haben, was passiert, wenn man nirgends daheim ist und nirgends dazu gehört.
Als Kind hat Tooly nie ein richtiges Zuhause. Eine unzuverlässige Frau und drei merkwürdige Männer kümmern sich abwechslungsweise um sie. Das Mädchen hat keine Ahnung, woher sie kommt und wer ihre richtigen Eltern sind. Später will sie es wissen. Als erwachsene Frau unternimmt Tooly – zusammen mit den ebenfalls unwissenden Lesern und Leserinnen – eine grosse Reise. Nach und nach erfährt man mehr über ihre Herkunft und die chaotische Kindheit in verschiedenen Erdteilen.
Puzzleartige Geschichte
Rachman überzeugt mit einer ausgeklügelten, nicht linearen Erzählstruktur. Es gibt drei Zeitebenen in diesem Roman. In einer ist Tooly ein zehnjähriges Kind, das mit einem Mann namens Paul in Bangkok lebt. In einer weiteren Zeitebene – so um 1999 herum – wohnt die 20-jährige Tooly zusammen mit dem bibliophilen Humphrey in New York. Und in der Gegenwart führt die über 30-Jährige einen eigenen Buchladen in Wales.
Mit Tooly hat der britisch-kanadische Schriftsteller einen starken Charakter geschaffen. Ihre traurige Vergangenheit erschüttert, sie selber lässt sich aber nicht unterkriegen. Sie ist eine beeindruckende, ebenso ernsthafte wie auch witzige, junge Frau. Das zeigt sich in frechen Dialogen oder zum Beispiel in der Art, wie sie in ihrem Laden die Bücher katalogisiert: «Künstler, die ihre Gattinnen nicht nett behandelt haben» oder «Bücher, die man gelesen zu haben vorgibt, aber gar nicht kennt».
Die Buchhandlung als Zufluchtsort
Der heute 40-jährige Tom Rachman hat Filmwissenschaft und Journalismus studiert. Als Ausland-Korrespondent der Nachrichtenagentur Associated Press ist er viel in der Welt herumgekommen: In Japan, Südkorea, Ägypten, Türkei und Italien. Und als Redaktor des «International Herald Tribune» (heute: «International New York Times») arbeitete er einige Jahre in Paris.
Als erfahrener Zeitungs-Journalist kennt er die Welt der Medien und die der Zeitungsbranche im Speziellen. In seinem viel gelobten, ersten Roman «Die Unperfekten» hat er darüber geschrieben: über den Zeitdruck, die Sucht nach dem Nervenkitzel und das Business, das alles andere als perfekt ist.
In seinem zweiten Roman «Aufstieg und Fall grosser Mächte» sind es die Bücher, die uns über die fast 500 Seiten begleiten. Tom Rachman ist nämlich, wie seine Protagonistin Tooly, ein grosser Bücherfan und er liebt Buchläden. «Sie sind eine Art Zufluchtsort für mich», sagt Tom Rachman. Wenn er sich auf Reisen isoliert und einsam fühle, dann finde er in Buchhandlungen einen Ort, wo sich seine Freunde aufhielten. Auch zuhause seien die Bücher seine wichtigsten Objekte. «In jedem Buch versteckt sich ein einmaliges Erlebnis und ein Stück meiner Vergangenheit.»