Die SPD stand vor einer Zerreissprobe: Sie kann keine Linksregierung bilden. Weil sie im Wahlkampf gelobt hatte, nicht mit der Linkspartei zusammenzuspannen.
Möglicherweise Neuwahlen
Sie kann zweitens nicht einfach mit der CDU eine grosse Koalition bilden. Ein grosser Teil der SPD-Mitglieder lehnt das ab. Und sie kann sich drittens auch nicht einfach für die Oppositionsrolle entscheiden. Denn dann drohen möglicherweise Neuwahlen weil auch die Grünen nicht in eine Koalition mit der CDU hineinwollen. Und bei einer Neuwahl riskiert die SPD eine noch schlechtere Ausgangslage. Etwa wenn die FDP wieder in den Bundestag käme.
Der trickreiche Ausweg des SPD-Vorsitzenden Gabriel aus dem Dilemma: «Die SPD ist zu Gesprächen bereit. Das hat der Konvent heute beschlossen.» Aber mit grossen Vorbehalten: Wenn die Sondierungsgespräche mit der CDU ein Resultat ergeben sollten, wird der Parteikonvent nochmals tagen, um das Ergebnis erst zu prüfen. Erst dann würden richtige Koalitionsverhandlungen beschlossen.
Doppelt abgesichert
Bevor diese aber dann zu einer Regierung mit der CDU führen, will die SPD erst noch die 460'000 Mitglieder befragen. Ein doppelt abgesichertes Verfahren. Das hat es bisher nie gegeben, aber es verhindert in beiden Fällen – Annahme oder Ablehnung einer Koalition – die Zerreissprobe in der Partei. Es sichert auch die Stellung der Parteileitung unabhängig vom Ergebnis.
Und, vor allem: es gibt den Vertretern der SPD eine starke Verhandlungsbasis. Sie können Angela Merkel in jeder Diskussionsphase mit einer Ablehnung der Ergebnisse durch die Parteibasis drohen, die viel stärkere CDU damit unter Druck setzen.
Merkel vor spannendem Herbst
Während des heutigen Samstags wird auch ein Parteitag der Grünen deren schlechtes Wahlergebnis diskutieren und die Frage, wie man sich in der Koalitionsdiskussion verhalten soll. Die Neigung der Grünen, mit Merkels CDU zusammenzuspannen ist aber noch wesentlich geringer als die bei der SPD. Angela Merkel ist noch Monate von einer Regierungsbildung entfernt. Das ganze Prozedere wird noch weit in den November hinein dauern. Wenn nicht länger.
Einer aus der SPD-Spitze hat sich übrigens bereits ins zweite Glied zurückgezogen: Peer Steinbrück kandidiert nicht mehr für hohe Parteiämter. Er wird als einfacher Bundestagsabgeordneter weitermachen, wie er das schon vor seiner Wahl zum Kanzlerkandidaten gewesen war.
Genossen gegen grosse Koalition
Anders als die SPD-Wähler sind die Parteimitglieder nach einer Umfrage überwiegend gegen die Bildung einer grossen Koalition. 65 Prozent der Sozialdemokraten wollen nicht, dass ihre Partei ein Bündnis mit der CDU/CSU eingeht, wie das Institut Forsa für das Magazin «Stern» ermittelte. Bei den Funktionären ist die Ablehnung mit 70 Prozent sogar noch höher.
Nur 33 Prozent aller Genossen fänden Schwarz-Rot gut, ergab die Umfrage unter 926 repräsentativ ausgesuchten Mitgliedern der SPD. In anderen Umfragen hatten sich SPD-Sympathisanten – also nicht unbedingt Parteimitglieder – für Schwarz-Rot ausgesprochen, so wie auch die Bevölkerungsmehrheit insgesamt.