Im Kulturzentrum Katuaq in Grönlands Hauptstadt Nuuk steht an diesem kalten und dunklen Winterabend eine Premiere an: Im Grossen Saal feiert der Spielfilm «Anori» Premiere. Es ist der erste Spielfilm einer grönländischen Regisseurin überhaupt. Sie heisst Pipaluk Kreutzmann Jörgensen.
Gestern nahm sich eine gute Freundin das Leben. Sie war die 20. Person in meinem Umfeld, die Suizid beging.
«In meinem Film geht es um die tiefe Verbindung der Natur mit dem Menschen», sagt sie. Die Namen ihrer Hauptdarsteller verkörperten die Natur: Welle, Sturm, Wind. Diese in der Psyche der Grönländer tief verwurzelte Naturbindung hat es in der modernen Gesellschaft aber schwer.
Und das hat schwerwiegende Folgen. «Gestern nahm sich eine gute Freundin das Leben. Es ist die 20. Person in meinem persönlichen Umfeld, die Suizid begangen hat. Das tut so weh, und mit meinem Film will ich zeigen, wie die Selbstmorde zum grönländischen Alltag gehören», sagt die Regisseurin.
In der traditionellen grönländischen Gesellschaft verliessen ältere oder kranke Menschen das Dorf, gingen in die Natur hinaus und starben dort, wenn sie aus ihrer Sicht nichts mehr beitragen konnten, erklärt Kreutzmann Jörgensen. Heute hätten immer mehr junge Menschen dieses Gefühl – und begingen Suizid.
Besuch in Nuuk, der Hauptstadt Grönlands
Lehrmittel sind immer noch fast alle auf Dänisch
In einem Kaffeehaus unweit des Kulturzentrums sitzt Moses Masic Marcussen. Er ist 18 Jahre alt und bereitet sich auf die Matur im kommenden Frühjahr vor. Obwohl Grönländisch seit Jahrzehnten alleinige Amtssprache auf der Insel ist, stehen fast alle Lehrmittel immer noch nur auf Dänisch zur Verfügung.
Grönländische Lehrer gibt es fast nur in den unteren Klassen.
Das habe vor allem mit den Lehrkräften zu tun, sagt Marcussen: «Grönländische Lehrer gibt es fast nur in den unteren Klassen, sonst kommen alle Lehrer aus Dänemark.» Und diese sprächen kein Grönländisch.
Er selbst habe Grönländisch dabei beinahe verlernt: «Als einige Schüler aus Dänemark in meine Klasse kamen, wechselten wir alle im Alltag von Grönländisch auf Dänisch. Ich musste sehr aufpassen, meine Muttersprache nicht ganz zu verlernen.»
Marcussen, nebst Schüler auch das jüngste gewählte Mitglied des Nuuker Gemeinderates, setzt sich für mehr lokale Demokratie ein. «Wir haben in Grönland über 60 verschiedene Ortschaften. Aber fast alles wird im nationalen Parlament in Nuuk entschieden.» Dieses habe die zentralistische Struktur der früheren Kolonialverwaltung übernommen. «Das funktioniert gar nicht gut.»
Grönlands Rohstoffreserven von globalem Interesse
Im nationalen Parlament Grönlands und im Rathaus der Hauptstadt ist man sich dieser Problematik durchaus bewusst. Gleichzeitig versuchen sich diese grönländischen Machtzentren im globalen Wettbewerb zu behaupten, in dem die Insel wegen ihrer Rohstoffreserven eine immer wichtigere Rolle spielt.
Wir können lernen, mit unseren Ressourcen das beste aus unseren Beziehungen mit ausländischen Staaten zu machen.
Für die Nuuker Vizebürgermeisterin Randi Evaldsen, die auch Abgeordnete im nationalen Parlament ist, steht deshalb die Stärkung der Infrastruktur ganz oben auf der Tagesordnung: «Wir können uns nicht von der Welt abnabeln, aber wir können lernen, mit unseren eigenen Ressourcen das beste aus unseren Beziehungen mit ausländischen Staaten zu machen.»
Die 38-Jährige nennt als Beispiel den jüngst mit Dänemark abgeschlossenen Vertrag über den Bau neuer Interkontinentalflughäfen. Demnach erhält Grönland zwar von der früheren Kolonialmacht die notwendigen Mittel für deren Bau, kann aber auch weiterhin selbst entscheiden, wann und wie es sich von Dänemark abnabeln möchte – und die staatliche Unabhängigkeit erklärt.