Wer denkt, es gebe in Russland keine richtige Opposition mehr, der kennt Alexej Nawalny nicht. Gross, blond, stahlblaue Augen. Ein russischer Kraftmensch mit so viel Selbstvertrauen, das gelegentlich in Selbstverliebtheit umschlägt.
Seit Jahren verfolgt seine «Stiftung für den Kampf gegen Korruption» zwielichtige Beamte. Jetzt aber hat er sich mit der obersten Riege angelegt; mit Generalstaatsanwalt Juri Tschaika, einem engen Verbündeten von Präsident Wladimir Putin.
«Wir haben nicht nur aufgedeckt, dass die Familie von Generalstaatsanwalt Juri Tschaika korrupt ist, sondern auch, dass sie Verbindungen zur organisierten Kriminalität hat», präzisiert Nawalny.
Der zwielichtige Sohn des Generalstaatsanwalts
Erzählt wird diese Geschichte in einem Film, den Nawalny im Dezember im Internet veröffentlicht hat. Über 4,5 Millionen Mal wurde die russische Version schon angeschaut. Ein Riesenerfolg. «Insgesamt geht es in unserem Film um einen verrotteten Staat. Man muss sich das mal vorstellen: an höchster Stelle im Justizapparat sitzen Leute, die mit der Mafia gemeinsame Sache machen», empört sich der Oppositionelle.
Tatsächlich sind die Vorwürfe von Nawalny ungeheuerlich: Einer der Söhne von Generalstaatsanwalt Tschaika, Artjom Tschaika, soll sich illegal eine staatliche Firma einverleibt haben – mit freundlicher Unterstützung von Staatsanwälten aus dem Umfeld seines Vaters. Zudem gebe es Hinweise auf Mafia-Beziehungen.
Es ist ein ziemlich kompliziertes Geflecht aus Firmen, Geschäfts- und Verwandtschaftsbeziehungen, das Nawalny im Film zeichnet. Direkte Verfehlungen des Generalstaatsanwalts werden nicht nachgewiesen. Aber die furiose Business-Karriere seines Sohnes sowie dessen zweifelhaften Bekanntschaften werfen Fragen auf.
Ein schickes Haus in Genf
Insgesamt hat Tschaika Junior in den vergangenen Jahren offenbar ein beachtliches Vermögen angehäuft. Laut Nawalny besitzt er zahlreiche Unternehmen in ganz Russland, zudem ein Luxus-Hotel in Griechenland und ein stattliches Haus unweit von Genf. Er verfüge auch über eine Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz. «Die Schweiz spielt eine wichtige Rolle in der Geschichte, weil Artjom Tschaika dort wohnt und Geld investiert, das er in Russland verdient hat»
Niemand, der diesen Film gesehen hat, will Artem Tschaika als Nachbar haben.
Nawalny vermutet, dass die in der Schweiz investierten Gelder illegaler Herkunft sind. Deswegen hat er sich an die Schweizer Bundesanwaltschaft sowie die Finanzmarktaufsicht Finma gewandt: «Wir fordern, dass die Schweizer Justiz die Herkunft der Gelder klärt und überprüft, ob hier nicht ein Fall von Geldwäsche vorliegt.»
Die Schweiz sei zu tolerant gegenüber korrupten Politikern und Beamten, sagt Nawalny. Deswegen hat er den Film auch auf Englisch übersetzen lassen und ins Internet gestellt. Er wolle, dass die Schweizer sich die Geschichte ansehen: «Ich bin sicher: Niemand, der diesen Film gesehen hat, will Artjom Tschaika als Nachbar haben.»
Die Ziele von Nawalny gehen aber weiter. So hegt er auch politische Ambitionen. «Wir bekämpfen nicht einfach die Korruption als ein juristisches Problem, sondern als Grundlage des politischen Systems in Russland. Deswegen sage ich: Wir wollen Russland als Ganzes verändern.»
Um die Korruption zu besiegen, müsse das herrschende politische System beseitigt werden – inklusive der herrschenden Klasse. Klar, dass solche kühnen Thesen im Kreml nicht auf Gegenliebe stossen.
Nawalny spürt denn auch kräftigen Gegenwind. Mehrfach wurden schon zweifelhafte Strafverfahren gegen ihn eröffnet; sein Bruder sitzt wegen angeblicher Unterschlagung im Gefängnis – eine Form moderner Sippenhaft. Nicht verschont werden auch Mitarbeiter seiner Stiftung, die mit Hausdurchsuchungen unter Druck gesetzt werden.
Wir wollen Russland als Ganzes verändern.
Und es droht noch Schlimmeres: Vor knapp einem Jahr ist der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau auf offener Strasse erschossen worden. Hat Alexej Nawalny keine Angst? «Ich verstehe, dass unsere Arbeit gefährlich ist. Für mich ist das aber kein Grund, damit aufzuhören», gibt er sich mutig.
Kreml findet das Ganze «nicht interessant»
Die offizielle Antwort auf den Film über die Tschaikas ist relativ dünn ausgefallen. Präsident Putins Sprecher liess ausrichten, man wisse von den Vorgängen schon seit geraumer Zeit – sie seien nicht interessant. Generalstaatsanwalt Juri Tschaika erklärte, der Film sei «voller Lügen». Als Auftraggeber machte Tschaika ausländische Geheimdienste aus, die Russland schaden wollten.
Nawalny wäre nicht Nawalny, wenn er das auf sich sitzen liesse. Er hat den Generalstaatsanwalt verklagt; dieser soll vor Gericht beweisen, dass Nawalny, im Auftrag von ausländischen Mächten handle. Bis jetzt allerdings weigert sich die russische Justiz, die Klage überhaupt anzunehmen.