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Die Überforderung in Afghanistan nach dem Erdbeben im Juni
Aus Echo der Zeit vom 09.07.2022. Bild: Keystone
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Erdbeben in Ost-Afghanistan Peter Hornung: «Da gab es Dörfer, von denen man nichts wusste»

Im Osten Afghanistans, im Grenzgebiet zu Pakistan, hat Ende Juni ein schweres Erdbeben über 1000 Todesopfer gefordert und die Lebensgrundlage von tausenden Menschen zerstört. Der ARD-Radiojournalist Peter Hornung war in der Region unterwegs und berichtet von der Zerstörung, aber auch den grössten Schwierigkeiten für einen Wiederaufbau.

Peter Hornung

ARD-Südasien-Korrespondent

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Aufgewachsen in Heidelberg, hat Peter Hornung in Wien und Regensburg Politik und Geschichte studiert und in Mainz Journalismus. Journalistische Erfahrungen macht er bei verschiedenen Sendern der ARD und war seit 2009 im Reporterpool von NDR Info. Seit 2021 ist Hornung Südasien-Korrespondent und Leiter des ARD-Hörfunkstudios in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi.

SRF News: Wie muss man sich diese Region vorstellen und warum gestaltet sich die Hilfe so schwierig?

Peter Hornung: Es ist eine komplett unterentwickelte und entlegene, hügelige Region. Es gibt keine Infrastruktur, nicht mal Strassen und wir sind teilweise durch Flussbette gefahren. So Verletzte oder Hilfsgüter zu transportieren, ist extrem schwierig. Dort, an der Grenze zu Pakistan, gibt es auch keine Schulen, kein Krankenhaus, nicht einmal Telefon und keinen Strom. Und Wasser gibt es nur lokal.

Was haben Sie in diesen zerstörten Dörfern angetroffen?

Die Not ist unvorstellbar. Wir sahen ein vollständig zerstörtes Bergdorf. Die Häuser aus Lehm sind zusammengestürzt. In diesen Trümmern haben die Menschen Zelte aufgebaut. Und es ist ja nicht nur die Zerstörung zum Sehen, es ist auch das Riechen. Die Toten sind zwar bestattet worden. Aber mitunter liegen noch Tiere unter den Trümmern, und es stinkt ganz furchtbar nach Verwesung. Trotzdem wollen die Menschen bleiben. Derzeit leben die Menschen in Zelten von Hilfsorganisationen. Ein Sprecher des Katastrophenschutzes in Kabul hat mir gesagt, man wolle jetzt erdbebensicher bauen. Aber die Frage, mit welchem Geld, konnte er mir nicht beantworten.

Die Toten sind zwar bestattet worden. Aber teilweise liegen noch Tiere unter den Trümmern, und es stinkt ganz furchtbar nach Verwesung.

Es fehlt also eine Perspektive für einen Wiederaufbau?

Ja, es sind zwar viele UNO-Hilfsorganisation da, aber es ist nur Katastrophenhilfe, keine langfristige Hilfe. Wenn diese Ersthelfer vor dem Winter weiterziehen, wird es schwierig. Verantwortliche in Kabul sagten mir, eigentlich lasse sich da kaum etwas aufbauen und vor allem nicht alles gleichzeitig oder auch noch die Strassen-Infrastruktur. Sie ist ja deshalb so schlecht, weil das ganze Gebiet bis vor einem Jahr unter Kontrolle der Taliban stand. Bauarbeiten mussten militärisch gesichert werden, weil immer Angriffe drohten. Das fällt Ihnen jetzt, salopp gesagt, auf die Füsse.

Seit gut einem Jahr regieren die Taliban jetzt in Kabul. Wie gut ist ihre Katastrophenhilfe?

Es gibt eine Katastrophenschutz-Agentur. Sie geben sich wirklich Mühe, aber es fehlt an allem. Am Anfang waren es Militärhubschrauber, um diese entlegenen Dörfer überhaupt zu entdecken. Es gibt keine Karten und in der Provinzhauptstadt hiess es, man wissen gar nicht genau, wo es überhaupt Dörfer gebe. Die Hubschrauber haben teilweise Dörfer entdeckt, von denen man gar nichts wusste. 

Die Hubschrauber haben teilweise Dörfer entdeckt, von denen man gar nichts wusste.

Es fehlt aber auch an Fachleuten, die sind im vergangenen Jahr alle geflohen. Es fehlen auch Ärztinnen, die Frauen behandeln können. Verletzte Frauen wurden teils von Verwandten abgeschirmt und männliche Ärzte durften ihnen nicht helfen. Westliche Organisationen unterstützen Afghanistan und wurden von den Taliban auch eingeladen. Aber wenn das Mikrofon ausgeschaltet ist, erzählen die Vertreter der Hilfsorganisationen von den Schwierigkeiten, mit den Taliban zu arbeiten. Sie würden überall hineinreden und alles lenken wollen, auch wer Geld bekommt.

Wenn sich die Taliban Mühe geben, es aber an allen Ecken und Enden fehlt, ist das ein Bild vom Zustand des Landes?

Nachdem ich Afghanistan früher schon bereist habe, beobachte ich seit einiger Zeit, dass die Taliban keinen Staat machen können, weil ihnen einfach die Leute fehlen. Es gibt eine Elite von gebildeten Taliban. Sie haben teilweise in den Golfstaaten oder im Westen studiert. Dann gibt es aber ganz viele junge Leute, die irgendwo in den Bergen gekämpft haben, die keinerlei Ausbildung haben. Sie stehen heute an Checkpoints und kontrollieren Autos. Aber sie wird man auf Dauer nicht tatsächlich brauchen können. Aber die ausgebildeten Leute haben das Land verlassen. Viele Behörden werden von Leuten geleitet, die keinerlei Qualifikation haben. Sie wurden von den Taliban hingesetzt als Geschäftsführer oder Behördenleiter, haben aber keine Ahnung. Damit einen Staat zu machen, ist extrem schwierig.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

Echo der Zeit, 09.07.2022, 18:00 Uhr ; 

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