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International Ein Jahr nach Flüchtlingsstrom: «Solidarität wäre heute dieselbe»

Essen, Arzneien, Kleider – und überall Willkommens-Plakate: So wurde vor einem Jahr der erste Flüchtlingsstrom in Österreich empfangen. Heute wartet niemand mehr auf die Menschen. Das heisst aber nicht, dass die Hilfe verebbt ist. Ein Interview mit einem Mann, der damals am Wiener Bahnhof stand.

Das Wochenende von Anfang September 2015 war für Österreich der Beginn eines wochenlangen Flüchtlingszustroms. Tausende erschöpfte Menschen überquerten damals die ungarisch-österreichische Grenze. Die Welle der Solidarität war beispiellos, am Wiener Hauptbahnhof wurden die Flüchtlinge von freiwilligen Helfern herzlich empfangen. Heute sieht man diese Hilfe nicht mehr. Warum, das erklärt Julian Pöschl, der damalige Leiter des Freiwilligen-Netzwerkes «Train of hope».

Julian Pöschl

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Der 23-Jährige arbeitet als Filmemacher, Fotograf und Event-Techniker. Am Wiener Hauptbahnhof war er im Spätsommer 2015 für die Koordination von «Train of hope» zuständig. Pöschl ist noch immer als freiwilliger Helfer für das Netzwerk aktiv. Mittlerweile kann man sich auf Facebook oder Twitter über die Arbeit von «Train of hope» informieren.

SRF: Im September 2015 erwartete die Flüchtlinge eine Welle der Hilfsbereitschaft in Österreich. Was ist davon geblieben?

Julian Pöschl: In unserer Wahrnehmung ist es schon so, dass diese öffentliche Hilfsbereitschaft abgenommen hat. Die akute Situation hat sich entschärft und damit auch das Medieninteresse. Es gibt nicht mehr diese grossen Gruppen, dafür haben sich vielerorts kleinere Projekte und Organisationen gegründet, die mehr im integrativen Bereich arbeiten. So gibt es etwa Deutschkurse, Schneidereien, Mobilitätskurse etc.

Wie viele Helfer hatte «Train of hope» damals?

Damals, im Zeitraum zwischen September und Dezember, hatte «Train of hope» rund 6000 Helfer, davon bis zu 200 zeitgleich am Bahnhof in Wien. Die Zahl hat sich zwischenzeitlich natürlich verändert. Heute sind rund 50 Menschen direkt bei «Train of hope» ehrenamtlich aktiv. Der Verein ist jedoch vernetzt. Viele, die damals am Bahnhof mithalfen, wirken noch im engeren Umfeld mit. Sie engagieren sich nun bei anderen Projekten und Organisationen im Sozialwesen und sind mit «Train of hope» vernetzt.

War es damals auch ein bisschen eine «Modeerscheinung», zu helfen?

Nein. Es war eine akute Situation, in der wir nicht wegsehen konnten. Die NGOs waren überfordert und wir haben unsere Hilfe zur Verfügung gestellt. Ich bin überzeugt: Sollten sich solche dramatischen Szenen heute wiederholen, wäre die Solidarität der Menschen wieder die gleiche. Wer damals meinte, Hilfsbedürftigen müsse man helfen, denkt auch heute noch so.

Chronologie des historischen Wochenendes

Freitag 4. September 2015: Seit Wochen überschreiten täglich Tausende Flüchtlinge die Grenze zwischen Serbien und Ungarn. Ziel ist zumeist Deutschland. Seit einigen Tagen lässt Ungarn jedoch keine Flüchtlinge mehr in die Züge Richtung Österreich. Tausende Menschen beschliessen darum, sich zu Fuss von Budapest nach Österreich zu machen.

Um Auseinandersetzungen und eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden, treffen Österreich und Deutschland die historische Entscheidung: Die beiden Länder müssten die Grenzen öffnen. Daraufhin erhöht Ungarn den Druck und schafft etwa hundert Busse mit Flüchtlingen in Richtung österreichische Grenze. Kurz nach Mitternacht geben Deutschland und Österreich die Grenzöffnung offiziell bekannt.

Samstag 5. September 2015:
Der erste Bus mit Flüchtlingen trifft an der österreichisch-ungarischen Grenze ein. Dort erwarten sie Busse und Sonderzüge, die sie nach Wien und weiter nach Deutschland bringen. Kurz nach 7 Uhr überquerten bereits 3000 Menschen die Grenze, bis Sonntagabend waren es 15‘000 (Quelle: Kleine Zeitung).

Warum bieten heute dennoch tendenziell weniger Menschen ihre Hilfe an?

«Train of hope» ist aus der Not heraus entstanden. Mit der Schliessung der Balkanroute und später dem Türkeideal kommen heute deutlich weniger Menschen. Der Bedarf an akuter Hilfe ist nicht mehr da. Zudem sind die Flüchtlingsdramen in die Ferne gerückt. Es wurde ruhig um die Sache, und die Leute verloren die Energie, etwas zu tun.

Eine Aufschrift «Refugees Welcome» an einer Hauswand wurde mit Farbe bespritzt.
Legende: Nicht alle befürworten die Willkommenskultur. Flüchtlingshelfer bekommen das immer wieder zu spüren. getty/symbolbild

Heisst das: aus den Medien, aus dem Sinn?

Die Hilfsbereitschaft verhält sich parallel mit den Medien. Wenn etwas passiert, werden die kritischen Stimmen lauter – aber auch diejenigen, welche für die Flüchtlinge Partei ergreifen. Das geschieht immer in beide Richtungen in gleichermassen.

Haben Sie auch schon starke Ablehnung oder gar Drohungen aufgrund ihrer Arbeit erhalten?

Der Gegenwind ist ein ständiger Begleiter. Natürlich läuft nicht alles ideal, aber es gibt blinde Wut und Hass, den ich nicht nachvollziehen kann. Ich bekomme immer wieder anonyme Anrufe. Und gerade den weiblichen Helferinnen wurden bereits mehrfach schlechte Erfahrungen gewünscht.

Wird Ihre Arbeit von der Politik unterstützt, oder eher blockiert?

Die Politik unterstützt die Arbeit überwiegend, das Interesse an einer guten Integration ist gross. Doch damals, wenn eine Problematik auftrat, gab es eher den politischen Willen, rasch eine Lösung zu finden. Heute kann man nicht mehr von einem Moment auf den anderen etwas bewegen, sondern alles dauert Monate. Die Bearbeitung der Asylanträge ist zu einer «Fliessbandarbeit» geworden, die Menschen verkommen zu Nummern. Eines der grossen Probleme ist zudem die Wohnungssuche. Freie Wohnungen gibt es zumeist in den immer gleichen Gegenden. Wenn wir die Menschen aber zunehmend an den Rand drängen, werden sie dort auch irgendwann ankommen.

Wenn Sie auf das Jahr zurückblicken, welches sind die positiven Dinge?

Wir sehen, dass viele Menschen in unserem Leben angekommen und zahlreiche Freundschaften entstanden sind. Es ist erstaunlich, wie viele Flüchtlinge schon gut Deutsch sprechen und einen Job gefunden haben. Der Geist von «Train of hope» ist immer noch zu spüren. Quer durch alle Altersklassen und gesellschaftliche Schichten hindurch und über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus.

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