Wieso genau Chefredakteurin Jelisaweta Ossetinskaja ihren Hut nehmen musste, wissen wir bis heute nicht. Waren es Artikel über die Geschäftsaktivitäten von Wladimir Putins jüngerer Tochter oder über die Milliarden seines Schwiegersohnes? Oder waren es doch die Panama-Papiere – und der Vorwurf, dass einer von Putins engsten Freunden, der Cellist Sergej Roldugin, anscheinend über Offshore Konten verfügt, über die bis zu zwei Milliarden Franken geflossen sein sollen? Gelder, so der Verdacht, die von der Kreml-Elite abgezweigt und über Strohmann Roldugin und seine Panama-Konten gewaschen wurden.
Über all das hatte das Team der Medien-Holding RBK unter Jelisaweta Ossetinskaja berichtet. Die Chefredakteurin musste im Mai zusammen mit zwei Mitgliedern der Chefredaktion das angesehene Medienhaus verlassen. Ein Dutzend Journalisten haben laut Medienberichten aus Protest ebenfalls gekündigt.
Klarer Druck des Kremls, lauteten die Kommentare im In- und Ausland; was dieser klar bestreitet. Politische Ursachen lässt aber auch Ossentinskaja selber vorsichtig antönen. Dafür spricht, dass es bei den Firmen des Hauptaktionärs, des Milliardärs Michail Prochorow, in den Wochen davor Durchsuchungen durch die Justizbehörden gegeben hatte wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Kein russischer Medienbesitzer kann sich gegen «Wünsche» des Kremls wehren – wenn er frei bleiben oder zumindest weiter in Russland geschäften will.
«Es gibt ganz klar Zensur»
Für ausländische Medienhäuser in Russland war das bisher einfacher – aber auch das ist vorbei. Ein anfangs 2016 in Kraft getretenes Gesetz begrenzt den Anteil von Ausländern an russischen Verlagen auf 20 Prozent. Oft übernehmen russische Geschäftsleute bestehende Mehrheits-Anteile. Für sie sind gewisse Themen grundsätzlich tabu. «Ja, es gibt ganz klar Zensur», bestätigt mir eine Kollegin, die für eine an sich angesehene Moskauer Tageszeitung schreibt.
Zeitungen wie RBK und Vedomosti sind von dieser Neuerungen klar betroffen. «Follow the money», hatte Ossetinskaja ihr Prinzip genannt. Schauen, wo in Russland die vielen Steuer-Milliarden verschwinden. Der RBK-Journalist Alexander Sokolow hatte diesbezüglich exzellente Arbeit geliefert. Er hatte in äusserst aufwändigen und detaillierten Arbeiten über die Abzweigung von Milliarden-Summen beim Bau der olympischen Objekte in Sotschi berichtet und bei der neuen Weltraumstation «Wostochnij». Wohl dafür sitzt er seit Juli 2015 in Untersuchungshaft – und nicht wegen der Mitgliedschaft bei einer angeblich extremistischen Organisation, wie es offiziell heisst.
Keine reale Opposition mehr
Solch fundierte investigative Artikel dürften in Zukunft noch seltener werden. Für uns Korrespondenten hier in Moskau stellt sich die Frage: Woher erhalten wir in Zukunft noch Informationen über die Ausmasse von Korruption in den teils höchsten Etagen?
Von wo wir sie nicht erhalten, ist klarer. Nicht vom handzahmen Parlament, wo es nur eine Pseudo-Opposition gibt, die gewisse Themen prinzipiell ausklammert; nicht von den Untersuchungsbehörden, die dort nicht ermitteln, wo es von der Regierung nicht erwünscht wird, und wohl kaum vom Obersten Staatsanwalt Juri Tschaika, der vom russischen Korruptionsjäger Alexej Nawalnij als hoch korrupt und kriminell bezeichnet wird. Und schon gar nicht von den staatlichen Fernsehsendern, die in ihren Nachrichtensendungen konsequent den Kreml-Standpunkt zementieren, anstand ihn kritisch zu hinterfragen.
Kaum Druck vom Volk
Berichte wie diejenigen von Nawalnijs Anti-Korruptionsbüro mögen noch Dinge an den Tag bringen oder auch die couragierten Macher der «Nowaja Gazeta» und ein paar anderer kleinere Medienhäuser. Grundsätzlich werden wir aber in Zukunft noch häufiger nichts von kriminellen Machenschaften der russischen Elite erfahren. Weil es schlicht und einfach an genügend Journalisten fehlt, die die Möglichkeiten und auch den Mut haben, solche Fälle zu recherchieren.
Dass diesbezüglich Druck von unten, sprich vom Volk, kommt, ist bis auf Weiteres kaum zu erwarten. Und das trotz zunehmend schwierigen Zeiten und realem Einkommensverlust. In Russland hat sich der Glaube noch kaum durchgesetzt, dass freie Medien zu einer besseren Kontrolle der Mächtigen und Beamten führen können und damit zu einem effizienteren Staatswesen und schlussendlich zu mehr Wohlstand.