Die protestierenden Studenten in Hongkong haben das Ultimatum der Regierung erfüllt, bis Montagmorgen früh zumindest einen Teil der Blockaden in der Stadt aufzuheben.
Mittlerweile befänden sich sehr viel weniger Leute in den Strassen, so SRF-Asienkorrespondent Urs Morf in Hongkong. «Die Demonstranten haben die Zugänge zum Regierungskomplex freigegeben, damit die Regierung keinen Anlass hat, Gewalt anzuwenden.»
«Direkt vor dem Komplex sind die Strassen noch besetzt. Aber es sind nur noch ein paar dutzend, vielleicht ein paar hundert Leute hier.» Ungehindert konnten Regierungsbeamte zur Arbeit gehen. Viele Hongkonger machten sich früher auf den Weg zur Arbeit, weil es weiter starke Verkehrsbehinderungen gab.
Wenig «Kompromiss-Spielraum»
Regierungschef Leung Chun-ying hatte am Sonntag vor einer Eskalation gewarnt und die Entschlossenheit bekräftigt, «alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, um die soziale Ordnung wiederherzustellen».
Peking habe in der letzten Woche mehrmals ganz klar gesagt, man sei überhaupt nicht bereit, nachzugeben, so Urs Morf. «Das Wahlgesetz, an dem sich der ganze Widerstand hier entzündet hat, könne nicht geändert werden. Das heisst, der Kompromiss-Spielraum ist wirklich klein.»
Innerhalb der prodemokratischen Protestbewegung zeigen sich erste Risse. Einige Studenten und andere Vertreter der Bewegung versuchten, den harten Kern von einem taktischen Rückzug zu überzeugen.
Doch Studentenführer Alex Chow sagte, die verbliebenen Demonstranten seien zum Ausharren entschlossen, der Ball liege nun auf Seiten der Regierung. «Solange die Regierung nicht einen Schritt auf uns zugeht, ist es unwahrscheinlich, dass wir uns zurückziehen», sagte Chow.
Vorwurf an die Regierung
Am Sonntagabend hatten bereits erste «Vorgespräche» stattgefunden. Die Studentenvereinigung warf der Regierung jedoch vor, ihre Bedingungen für die eigentlichen Gespräche nicht erfüllen zu wollen. So etwa die Forderung nach mehreren Dialogrunden und einer «Umsetzung» der Ergebnisse.
Zudem fordern sie, das die Regierung eingehend die Vorwürfe untersuche, «dass die Polizei gegenüber Schlägern Nachsicht gezeigt und bei den jüngsten Protesten die Durchsetzung des Gesetzes selektiv angewandt hat».
«Wir hoffen, dass die Gespräche nicht nur eine Plauderei oder Konsultationen werden», sagte Studentenführer Lester Shum. Ihr einziges Ziel sei, die politischen Probleme zu lösen.
Experte: Rückzug ist kluge Entscheidung
Der Hongkonger Regierungschef Leung Chun Ying hatte die Demonstranten am Samstag aufgefordert, bis Montag alle Strassen zu räumen. Andernfalls werde er «alle notwendigen Massnahmen zur Wiederherstellung der sozialen Ordnung ergreifen».
Der Hongkonger Politikexperte Willy Lam sagte, der Rückzug der Demonstranten sei eine kluge Entscheidung. Die Beeinträchtigung des öffentlichen Lebens führe dazu, dass der Protest zunehmend an Rückhalt in der Bevölkerung verliere. Sollten die vereinbarten Gespräche mit der Regierung ergebnislos bleiben, «ist es möglich, die Bewegung wiederzubeleben», sagte Lam.
«Ein Land, zwei Systeme»
Die seit mehr als einer Woche anhaltenden Proteste hatten sich an Beschlüssen des Pekinger Volkskongresses entzündet. 2017 soll demnach zwar erstmals eine direkte Wahl in Hongkong erlaubt sein. Eine freie Nominierung der Kandidaten wird aber verweigert.
Seit dem Souveränitätswechsel und der Rückgabe der damaligen britischen Kronkolonie an China 1997 geniesst Hongkong nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» Autonomie sowie Presse- und Versammlungsfreiheit. Die Hongkonger wollen jetzt auch das Versprechen erfüllt sehen, frei wählen zu können.
Vordergründig sieht es so aus, als ob Peking sich nun durchgesetzt hat. «Auf der anderen Seite muss man sehen, dass nun praktisch die ganze Welt während einer Woche auf Hongkong geschaut hat», relativiert SRF-Korrespondent Urs Morf. «Sie hat gesehen, was hier läuft und was für ein Spiel die Pekinger Regierung mit Hongkong treibt – dass der Grundsatz «zwei Systeme, ein Staat» immer mehr ausgehebelt wird. Das wird nicht ohne Folgen für die Zukunft sein.»