In Istanbul kam es in der Nacht erstmals zu Zusammenstössen zwischen Gegnern und Anhängern von Premier Recep Tayyip Erdogan. Werner van Gent, der für SRF aus Istanbul berichtet, wurde in der Nacht selber Zeuge, wie die Gruppen aufeinander prallten.
«Zunächst waren da einige tausende Demonstranten, die haben sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei geliefert haben. Das ging den ganzen Tag hin und her. Plötzlich sind die Demonstranten wie in wilder Panik weggerannt. Und ich stand plötzlich ziemlich alleine auf einem Platz und sah dann, wie etwa 40 schwer bewaffnete jüngere Männer runter kamen vom Berg», berichtet van Gent bei SRF.
Die Männer seien mit Schlagstöcken und Ketten bewaffnet gewesen. Laut van Gent waren sie unterwegs nach Kasimpasa, der Heimat von Erdogan. «Offenbar wollten sie dieses Viertel schützen, damit nicht auch dort noch die Demonstranten die Plätze besetzen.» Van Gent warnt vor einer weiteren Eskalation: «Das kann sehr gefährlich werden.»
Regierung droht mit Armee
Die Polizei ging unterdessen weiter gegen Demonstranten vor, die auf den Taksim-Platz gehen wollten. Dabei setzten die Sicherheitskräfte wiederum Wasserwerfer und Tränengas ein. In der Stadt seien am Sonntag weit über 400 Menschen festgenommen worden. Dies sagte ein Vertreter der Istanbuler Anwaltskammer vor Medienvertretern.
Die Regierung hat den Demonstranten im Land unterdessen erstmals mit einem Einsatz der Armee gedroht. Wenn es nötig sei, würden auch die Streitkräfte eingreifen, zitierten türkische Medien den Vizeregierungschef Bülent Arinc.
«Die Polizei ist da. Wenn das nicht reicht, die Gendarmerie. Wenn das nicht reicht, die türkischen Streitkräfte», sagte Arinc demnach. Die Demonstrationen seien illegal und würden von nun an verhindert. Die Regierung werde alles Nötige unternehmen, um das Gesetz durchzusetzen.
Fünf Gewerkschaftsverbände riefen aus Protest zu landesweiten Streiks und Demonstrationen auf. Innenminister Muammer Güler drohte Angestellten der öffentlichen Hand mit Konsequenzen: «Diese Demonstrationen dieser fünf Gewerkschaften sind nicht legal. Wie können wir diese Demonstrationen erlauben?», zitierte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu den Minister.
Güler kündigte zudem an, wer Meinungsmache betreibe und zu Demonstrationen über Twitter und Facebook aufrufe, werde verfolgt. In den vergangenen Wochen hatte es bereits mehrere Festnahmen gegeben.
Erdogan heizt den Konflikt an
Am Sonntag hat Erdogan zu seinen Anhängern gesprochen. Der türkische Premier bezeichnete die Aktivisten erneut als Terroristen und Provokateure, als Teil einer ausländischen Verschwörung. Van Gent geht nicht davon aus, dass Erdogan die Leute gegeneinander aufhetzen will.
Schliesslich müsse auch er wissen, dass das sehr gefährlich werden kann. Aber: «Erdogan ist der tiefen Überzeugung, dass diese Demonstranten ungezogene Kinder sind, die eine Tracht Prügel brauchen.» Der Premier sei der tiefen Überzeugung, dass es sich bei den Demonstranten nur um eine kleine Gruppe handelt, so van Gent. Und mit diesen muss der Staat fertig werden.