In knapp zwei Wochen entscheiden die Schotten über die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich. Sollten sie gegen einen Verbleib stimmen, wäre dies ein Präzedenzfall für Europa, denn Schottland möchte in der EU bleiben.
Zu leicht dürfte es die EU den Schotten nicht machen, schätzt die Politologin Sabine Riedel im Interview. Sie ist Expertin für europäische Autonomiebewegungen bei der Stiftung Wirtschaft und Politik in Berlin.
SRF: Wie stehen die Chancen, dass Schottland ohne Weiteres aus dem Vereinigten Königreich aus- und in die EU eintreten könnte?
Sabine Riedel: Die EU-Kommission hat sich erstaunlicherweise erst sehr spät eindeutig positioniert. Erst Anfang Jahr machte die alte Kommission unter Präsident Barroso und Justizministerin Redding deutlich, dass der Austritt einer Region aus einem Nationalstaat rein rechtlich auch den Austritt aus der EU bedeute. Das ist ein Problem für die schottische Regionalregierung, die ihrer pro-europäisch eingestellten Bevölkerung klarmachen muss, dass es den Rechtsweg braucht, um einen Ausschluss zu vermeiden.
SRF: Was könnte dies für ein autonomes Schottland heissen?
Derzeit ist die Rechtslage so, dass entweder alle EU-Mitgliedsstaaten einem Verbleib Schottlands in der Union zustimmen müssten. Oder aber Schottland müsste einen neuen Aufnahmeantrag stellen, sich also in die Reihe der Bewerber einreihen, wie dies Barroso dezidiert erklärte. Schottland stünde damit quasi noch hinter der Türkei und anderen Balkanstaaten. Das wollen die Schotten nicht und suchen nach einer Abkürzung. Da ist vielleicht auf dem Verhandlungsweg noch einiges möglich und offen.
Einstimmigkeit der EU-Staaten – würde sich da nicht gerade Spanien schwer tun?
Das ist richtig. Die spanische Regierung machte gegenüber ihren Regionen bereits deutlich, dass es über die gewährten, weitgehenden Autonomierechte hinaus nichts gebe. Das Verfassungsgericht hat zudem festgestellt, dass im Grunde alle Spanier abstimmen müssten, wenn der Erhalt des Staates zu Diskussion steht. Von Spanien ist also mit Widerstand zu rechnen.
Allerdings weiss man in der jetzigen Wirtschaftskrise nicht, in welcher Notsituation der spanische Staat allenfalls in ein bis zwei Jahren ist. Möglicherweise wird der dortige Separatismus eine deartige Dynamik entfalten, das Entscheidungen zugunsten kleinerer neuer Staaten fallen. Es ist nicht zu hoffen. Denn die Logik der Regionalisten ist völlig gegen die Idee der Integration mit mehr Zusammenarbeit und offenen Grenzen.
Also könnte die allfällige Anerkennung von Schottland als EU-Mitglied zum Präzedenzfall werden?
Das ist die grosse Frage. Ich gehe davon aus, dass die spanischen Separatisten in Schottland tatsächlich einen Präzedenzfall sehen. Deshalb ist es wichtig, welcher rechtliche Rahmen greift. Ich hoffe, dass die EU-Verträge so ausgelegt werden wie sie derzeit verfasst sind. Damit könnte ein unabhängiges Schottland nicht einfach Mitglied bleiben, die Mitgliedschaft würde erlöschen samt dem Anrecht auf Subventionen aus Brüssel.
Das muss klar sein. Wenn die EU da wackelt, werden andere Regionen mit ähnlichen Ansprüchen kommen. Das würde Europa insgesamt und die EU in die «Kleinstaaterei» führen und noch mehr Konflikte schaffen, als es heute schon gibt. Das kann die sich die EU derzeit nicht erlauben.
Das Interview führte Andrea Christen