Auch Tage nach dem amerikanischen Angriff auf den iranischen General Kassem Soleimani ist nicht erkennbar, dass sich dahinter eine klare und gar langfristige Iran-Strategie Washingtons verbirgt. Die Frage lautet deshalb: Haben die USA bereits mit der Ausschaltung des mächtigen Militärchefs irgendetwas Nachhaltiges erreicht?
Es sieht nicht danach aus. Soleimani als Funktionsträger ist bereits ersetzt. Ob sein Nachfolger in dessen grosse Fussstapfen wächst, muss sich weisen. Doch mächtige, über Jahre gewachsene Strukturen wie Streitkräfte oder Geheimdienste kollabieren selten, bloss weil die Führungsfigur ausgeschaltet ist. Kommt hinzu: Soleimani tat zwar so manches, was die USA erboste. Er spielte aber zugleich eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung des IS in Irak.
Irak wird weiter destabilisiert
Der offenkundigste Effekt des US-Angriffs ist deshalb, dass Irak als Land weiter destabilisiert wurde. Die ohnehin gewaltigen Spannungen zwischen der schiitischen Mehrheit und den Minderheiten der Sunniten und Kurden sind noch schärfer. Die wacklige Regierung in Bagdad ist weiter geschwächt. Die Nato legt ihre Mission zur Ausbildung und Weiterentwicklung der irakischen Streitkräfte vorläufig auf Eis. Und die USA werden möglicherweise ihre Truppen in Irak verringern oder ganz abziehen.
Stärkt das den Iran? Kurzfristig mag das so sein. Je weniger US- und Nato-Präsenz es in Irak gibt, umso einseitiger hängt die irakische Regierung ab von der Rückenstärkung durch Iran. Und umso stärker ist sie den überaus kampfstarken pro-iranischen Milizen ausgeliefert.
Iran ist keine dauerhafte Ordnungsmacht
Allerdings: Ein Chaos in Irak und immer erbittertere Konflikte zwischen den drei grossen Volksgruppen im Zweistromland liegen nicht in Teherans Interesse. Die Mullahs wollen zweifellos Einfluss in Bagdad. Aber es dürfte ihre – auch aufgrund der Sanktionen reduzierten – Kräfte übersteigen, auf Dauer mit enormem finanziellem und militärischem Einsatz im Irak als Ordnungsmacht aufzutreten. Teheran will einen markanten Fussabdruck im westlichen Nachbarstaat. Aber allzu teuer darf der nicht sein.
Das heisst: Die jüngste Eskalation mit der tödlichen US-Attacke und dem begrenzten iranischen Vergeltungsschlag nützt weder den Vereinigten Staaten noch dem Iran wirklich. Ein klarer Sieger lässt sich zwischen diesen beiden Nationen nicht küren.
Wahrscheinliches Comeback der Terrormiliz
Doch einen Sieger gibt es trotzdem: die Terrormiliz IS. Je mehr der Irak zum gescheiterten Staat wird, zum «failed state», umso mehr Raum bietet er für Terroristen. Umso mehr kann sich der IS, der Syrien als Heimatterrain verloren hat, wieder im Irak einnisten und von dort aus regional und international Anschläge vorbereiten.
Eigentlich weiss man das in Washington wie in Teheran. Es gab deshalb in der Vergangenheit Versuche, zwischen den beiden Staaten zumindest einen örtlich und sachlich begrenzten Schulterschluss hinzukriegen zur gemeinsamen Bekämpfung des IS. Die politische Feindseligkeit zwischen den beiden Regierungen war aber zu gross und hat das jedes Mal verhindert. Vor allem die Hardliner in den beiden Hauptstädten widersetzten sich diesem Ansinnen.
Der lachende Dritte der jüngsten Eruption ist also der sogenannte «Islamische Staat». Dass er im Irak vor einem grossen Comeback steht, ist überaus wahrscheinlich. Und das ist über das Land hinaus höchst besorgniserregend.