Zwischen steilen Felswänden fliesst der Pandschir-Fluss aus dem Tal. Der Taleingang ist so eng, dass neben dem Fluss nur eine schmale Strasse Platz hat. Hier, vor einem winzigen Steinhäuschen, sitzt der alte Gulbuddin Khaksen und beobachtet die Autos. «Ahmed Schah Massud hat mir vor Jahrzehnten befohlen, über das Tal zu wachen. Das tue ich noch immer», sagt Khaksen. «Wir haben die Russen besiegt und die Taliban – jetzt ist alles friedlich hier.»
Nationalheld – oder Kriegsverbrecher
Ahmed Schah Massud, auch «Löwe von Pandschir» genannt, ist ein Nationalheld – oder ein Kriegsverbrecher – je nach dem, wen man fragt. Unterstützt vom Westen verteidigte der Gotteskrieger sein Tal erfolgreich gegen die russischen Besatzer und später auch gegen die Taliban.
Im Bürgerkrieg Anfang der 1990er-Jahre trugen jedoch auch seine Männer dazu bei, dass die afghanische Hauptstadt Kabul in Schutt und Asche gelegt wurde. Auch bei einem schweren Massaker an der Minderheit der Hazara in Kabul 1993 spielte Massud eine zwielichtige Rolle.
Am 9. September 2001 – zwei Tage vor 9/11 – wurde der «Löwe von Pandschir» von zwei Selbstmordattentätern der Al-Kaida getötet. Sie hatten sich als belgische Journalisten ausgegeben und zündeten während dem Interview mit Massud eine in der Kamera versteckte Bombe.
Massuds Grab ist eine Pilgerstätte
Ein paar Kilometer taleinwärts haben die längst arbeitslosen Mudschahedin das Grab ihres Helden in ein haushohes, kuppelförmiges Monument verwandelt. Es ist zu einer nationalen Pilgerstätte geworden. Mohammed und Dschabbar, zwei junge Männer in traditioneller Kleidung mit einer Tarnjacke, haben sich eben die Schuhe abgestreift, um vor Massuds Grab zu beten.
Wie viele andere Pandschiris konnten auch sie nach Massuds Tod von dessen guten Beziehungen zum Westen profitieren. Beide haben für die Nato-Truppen gearbeitet. Aber mit dem schrittweisen Abzug der internationalen Truppen und ihren Auftragnehmern haben sie ihre gut bezahlten Jobs verloren. Seit zwei Jahren schürfen sie nun mit ihren Kollegen in den Bergen nach Smaragden.
Harte, schmutzige Arbeit
Der 23-jährige Dschabbar ist ihr Anführer. «Manche suchen zehn Jahre und finden keinen Smaragd, andere finden so viele Kristalle in einer Woche, dass sie eine halbe Million Dollar damit verdienen», erklärt er. Seine Gruppe habe in den letzten zwei Jahren Smaragde im Wert von 300'000 Dollar gefunden und sie in Kabul, Dubai und in Indien verkauft.
Die Arbeit in den Minen – sie dienten früher den Mudschahedin als Einkommensquelle – ist kein Traumjob. Es ist harte, schmutzige Arbeit. Dschabbar und Mohammed wünschten sich deshalb eine andere Arbeit – eine, die ihnen der neue Präsident geben soll.
Wem sie ihre Stimme geben werden, ist klar: Abdullah Abdullah. «Er ist der Beste und er kommt aus dem Pandschir-Tal! Er ist ein Mudschahed und war Ahmed Schah Massuds Berater.» Wen auch immer man im Tal fragt, alle wollen ihre Stimme Abdullah Abdullah, dem Arzt, ehemaligen Aussenminister und Oppositionsführer, geben.
Wie viel Unterstützung erhält Abdullah Abdullah?
Auch Lala Khan Fakiri, ein anderer Bewohner des Tals, wird für ihn stimmen. Fakiri hat sich für 1400 Dollar in Kabul einen ausrangierten Transport-Container der Nato-Truppen gekauft. Der Container säumt nun wie viele weitere die Strasse des Tals. Sie dienen als Krämerläden, Werkstätten oder Lager. Fakiri hat Holzgestelle in seinen Container eingebaut und verkauft Käse, Honig, Seife und andere Gebrauchsgegenstände.
Er hatte in den letzten Jahren für eine private US-Sicherheitsfirma in Kabul gearbeitet — bis sie das Land verliess. Vor eineinhalb Jahren sei er in sein Tal zurückgekehrt. «Hier ist es sicher. Ich hoffe, dass dies auch unter dem neuen Präsidenten so bleiben wird», sagt Fakiri und wägt den Käse und den Honig.
Bei den letzten Wahlen 2009 wurde Abdullah Abdullah, der Mann aus dem Pandschir-Tal, Zweiter. Falls diesmal weniger betrogen wird bei der Wahl und seine Unterstützung über die ethnische Minderheit der Tadschiken hinausgeht, könnte er der neue afghanische Präsident werden.