So gespannt wie gestern waren die Polen wohl noch nie bei Regionalwahlen. Seit drei Jahren regiert die nationalkonservative PiS das Land und versucht es nach ihrem Gusto umzubauen. Nun musste sie sich zum ersten Mal wieder an der Urne behaupten. Laut Nachwahlbefragungen holt die PiS über 32 Prozent der Stimmen und bleibt damit stärkste Kraft. Roman Fillinger über die Folgen für kommende Wahlen – und was der PiS in die Quere kommen könnte.
SRF News: Sind die Ergebnisse ein Triumph für die PiS?
Roman Fillinger: Es ist kein Triumph, aber ein Sieg für die PiS. Sie holt 7 Prozentpunkte mehr als bei den letzten Regionalwahlen vor vier Jahren. Die Erwartungen waren aber höher. Bei Umfragen ist man davon ausgegangen, dass die PiS bis zu 40 Prozent machen könnte. Bei den letzten nationalen Parlamentswahlen 2015 hat sie 38 Prozent geholt.
Die Resultate sind Nachwahlbefragungen. Wie verlässlich sind diese Zahlen?
Die Ergebnisse können noch variieren, die offiziellen Resultate kommen erst am Dienstag oder Mittwoch. Ich gehe jedoch davon aus, dass das grosse Bild in etwa das ist, was die Nachwahlbefragungen zeigen.
Wie sind die ersten Reaktionen bei der PiS?
Angesichts des deutlichen Sieges sind die Reaktionen verhalten. Jaroslaw Kaczinsky, der Parteichef und starke Mann hinter der polnischen Regierung, sagte: «Wir haben mit einem Ergebnis gewonnen, das Gutes für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr verheisst.» Da schwingt viel Hoffnung mit, das ist aber nicht überbordender Jubel. Premierminister Mateusz Morawiecki wertet die Mehrheit als Unterstützung für seine umstrittene Justizreform, die das Land auch immer wieder auf Konfrontationskurs mit der EU bringt.
Die Regionen spielen eine wichtige Rolle, vor allem bei der Verteilung von EU-Milliarden. Bis jetzt kontrolliert die PiS nur eine von 16 Regionen. Wird sie da zulegen können?
Schwer zu sagen. Vielerorts wird die PiS auf Koalitionspartner angewiesen sein und da hat sie wenig Auswahl. Die Bauernpartei, drittstärkste Kraft, hat stärker abgeschnitten als erwartet. Diese wird wahrscheinlich eher mit der liberalen Opposition zusammenspannen als mit der PiS.
Die grösste Oppositionskraft, die Bürgerkoalition, holt einen Viertel der Stimmen. Kann sie damit zufrieden sein?
Nein. Aber nach der dramatischen Niederlage 2015 waren die Erwartungen auch nicht besonders hoch. Und so betont die Bürgerkoalition denn auch nicht die Niederlage, sondern den Erfolg. Sie hat in den Kommunalwahlen in den Grossstädten durchaus Erfolge erzielen können.
Die Opposition hat gezeigt: Wir sind noch da, mit uns ist noch zu rechnen.
Allen voran Rafal Trzaskowski, der Kandidat der Bürgerkoalition in Warschau, wo es ein umstrittenes Rennen ums Stadtpräsidium gab. Laut der Nachwahlbefragung hat Trzaskowski bereits im ersten Wahlgang Patryk Jaki, den Kandidaten der PiS, geschlagen.
Die Regional- und Kommunalwahlen waren der Auftakt zu einem Wahlmarathon in Polen. Im Mai 2019 gibt es Europawahlen, im Herbst die entscheidenden nationalen Parlamentswahlen. Was heisst das Resultat vom Sonntag für diese Wahlen?
In den Monaten, die kommen, kann noch viel passieren. Stand heute ist: Die PiS ist nach wie vor deutlich stärkste Kraft, auch wenn ihre Justizreform auf viel Widerstand stösst, und die Sozialprogramme nicht überall auf Unterstützung stossen. Gleichzeitig hat die Opposition gezeigt: Wir sind noch da, mit uns ist noch zu rechnen. Vor allem in den Grossstädten hat sie noch eine starke Wählerbasis. Fragt sich, ob es ihr gelingt, auch auf dem Land Wähler zurückzugewinnen.
Wie könnte sie das anstellen?
Ich vermute, die Opposition wird versuchen, die PiS-Politik als eine Einbahnstrasse darzustellen, als eine Strasse in Richtung Polexit – einem Austritt Polens aus der EU. Das wollen auch die nationalkonservativen PiS-Wähler nicht. Die PiS hingegen wird weiter auf nationale Eigenständigkeit pochen. Sie wird versuchen, die Justizreform zu zementieren, Ängste vor Migration zu schüren und gleichzeitig solche vor einem EU-Austritt zu zerstreuen. Punkten will sie mit populären Sozialprogrammen – mit Zulagen für Familien und künftig auch für Senioren.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.