«Je suis Charlie!» ist in diesen Tagen zum Mantra freiheitsliebender Zeitgenossen geworden. Zumindest in westlichen Gefilden. Viele Medienhäuser druckten die hinlänglich bekannten Mohammed-Karikaturen erneut; es sollte eine ultimative Solidaritätsbekundung gegenüber den attackierten Satirikern sein – aber auch eine Kampfansage an diejenigen, die die Freiheiten liberaler Gesellschaften gewaltsam einschränken wollen. Sogar die türkische Tageszeitung «Cumhurieyet» wagte den Abdruck der Karikaturen. Das Oppositionsblatt geriet prompt in die Mühlen der Justiz.
In den USA, dem «Land of the Free», blieb es indes seltsam ruhig. Zwar ist man auch hier «Charlie», teilt Betroffenheit, ja Abscheu über den Angriff auf die Medien- und Meinungsfreiheit.
Der mediale Gegenschlag gegen die «Feinde der Freiheit» blieb aber aus – keines der grossen Medienhäuser druckte die umstrittenen Mohammed-Karikaturen ab. Der Grund dafür: Selbstzensur, wie USA-Korrespondent Beat Soltermann sagt.
Konsens der politisch korrekten Zurückhaltung
Wie diese Selbstzensur auch unter Live-Bedingungen greift, illustrierte zuletzt CNN. Dem Solidaritätsmarsch von Paris widmete die US-Nachrichtenstation eine mehrstündige Sondersendung. Allerdings setzte sie bewusst die Zensurschere an: Schilder von Teilnehmern, die demonstrativ die Mohammed-Karikaturen hochstreckten, wurden verpixelt.
Soltermann sieht hier einen selbstauferlegten Maulkorb am Werk: «Zunächst will man die Gefühle der Zuschauer und Leser nicht unnötig verletzen. Auch die Rücksichtnahme auf Werbekunden spielte eine Rolle. Schliesslich wollte man auch die amerikanischen Journalisten nicht gefährden, die in islamischen Ländern arbeiten» – so argumentierten zumindest viele Chefredaktoren, sagt Soltermann.
Was politische Satire darf – und was nicht
Der US-Korrespondent begründet die mediale Zurückhaltung aber auch mit einem anderen Humorverständnis der Amerikaner: «Es herrscht eine andere Tradition, was Karikaturen und politische Satire angeht. Sicher spielt auch die Political Correctness eine Rolle.» So sei es in den USA auch aus historischen Gründen nicht opportun, sich über Minderheiten lustig zu machen: «Besonders heikel ist es, wenn es um die Themen Rasse und Religion geht. Über die eigene Religion mögen manche Witze machen. Öffentlich herrscht aber äusserste Zurückhaltung, wenn es um andere Religionen geht.»
In den USA herrscht eine andere Tradition, was Karikaturen und politische Satire angeht. [...] Besonders wenn es um die Themen Rasse und Religion geht.
Zurückhaltung in einem Land also, das ansonsten nicht für seine samtpfotige Debattenkultur bekannt ist? «Natürlich werden in der politischen Satire in den USA Politiker ohne Rücksicht und Respekt durch den Kakao gezogen», so Soltermann. Im Zusammenhang mit «Charlie Hebdo» sei etwa scharf dagegen geschossen worden, dass kein hochrangiger Vertreter der Obama-Administration am Gedenkmarsch in Paris teilgenommen habe.
«Selbstzensur im Humorbereich»
Sobald es um Minderheiten und religiöse Gefühle gehe, greife aber eine «Selbstzensur im Humorbereich»: «Man bleibt höflich, will andere nicht unnötig verletzen und schaut, dass man mit- und nebeneinander leben kann. Deswegen bleibt Religion ein heikles Thema, um das man lieber einen Bogen macht.» Der Humor der Amerikaner sei eben ein anderer, schliesst Solterman: «Aber die Politiker müssen sich hier ganz warm anziehen.»
Dass gewisse Medienhäuser aber für eine «Öffnung» des satirischen Spektrums sind, zeigt eine Karikatur des traditionsreichen Magazins «New Yorker»: «Bitte amüsieren Sie sich verantwortungsbewusst über diesen kulturell, ethnisch, religiös und politisch korrekten Cartoon. Danke sehr.» Die Karikatur selbst parodiert die Selbstzensur der US-Medien: Es handelt sich um ein weisses Quadrat.