Immer mehr Pensionierte aus dem Norden der USA lassen sich in Florida in Gemeinschaften für Senioren nieder. Die sogenannten «active adult communities» bieten den Rentnerinnen und Rentnern ein sorgenfreies Leben, abgeschirmt von der Realität. The Villages ist die grösste Altersgemeinschaft dieser Art und eine Hochburg der Republikaner.
Keine Gemeinde in den USA wächst derzeit so schnell wie The Villages. Mittlerweile leben 127'000 Seniorinnen und Senioren in einem Gebiet, das mit 86 Quadratkilometern bereits grösser ist als Manhattan.
The Villages besteht aus drei Dorfzentren: Sumter Landing, Brownwood und Spanish Springs. Jedes der Zentren besitzt einen grossen Dorfplatz, auf dem abends Livekonzerte stattfinden. Zudem gibt es unzählige Restaurants, Läden, Theater, Kinos und sogar ein Opernhaus.
Wer in The Villages leben will, muss mindestens 55 Jahre alt sein. Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren sind nur an 30 Tagen im Jahr geduldet.
Wer The Villages besucht, wähnt sich im Film «The Truman Show»: Die öffentlich zugänglichen Zentren sind auf dem Reissbrett entworfen worden und wirken wie steingewordene Sehnsucht nach den vermeintlich heilen 50er-Jahren. Neben dem Herrschaftshaus steht eine Holzscheune und ein Wildwest-Saloon – «Bonanza» trifft auf «Vom Winde verweht».
Das Wasserrad der Kornmühle dreht sich auch ohne Wasserzufluss, der Zähler der Zapfsäule verharrt seit Jahren bei 1.75 Dollar pro Gallone. Der bröckelnde Hausverputz, verblichene Häuseraufschriften und verwittertes Holz entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als kunstvoll bemalte Kulissen.
Die Geschäfte in den Dorfzentren widerspiegeln die Bedürfnisse der älteren Kundschaft: Hörgeräte, Lesebrillen, Kleider in Übergrössen. Präsent sind auch Medicare, die staatliche Krankenversicherung für Pensionierte, und unzählige Ärzte, spezialisiert auf Altersgebrechen.
Wer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in den eigenen vier Wänden leben kann, zieht in eines der Pflegezentren um. Zudem steht auf dem Gelände von The Villages ein grosses Regionalspital mit Spezialisten für Schlaganfälle, Herzinfarkte und Rehabilitation.
Wichtigstes Fortbewegungsmittel in The Villages sind die Golfcars. Die rund 52'000 kleinen Gefährte verkehren grösstenteils auf einem für sie gebauten Fahrbahnsystem. In Tunneln werden die Strassen für gewöhnliche Autos unterquert.
Die Golfcars erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 40 Kilometer pro Stunde. Bewohner berichten aber davon, dass einige Besitzer ihre Gefährte «frisieren», um schneller fahren zu können. Unfälle passieren fast täglich. Ursache soll meistens Fahren im angetrunkenen Zustand sein.
Gute Laune ist Pflicht in The Villages: In den 120 Restaurants und Bars ist täglich von fünf bis sieben Uhr abends «Happy Hour». Livebands und Karaoke sorgen für einen feuchtfröhlichen Feierabend. In der lokalen Tageszeitung «The Villages Daily Sun» findet man Anzeigen von unzähligen Gruppen der AA, der anonymen Alkoholiker.
Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, dass The Villages landesweit eine der höchsten Ansteckungsraten von sexuell übertragbaren Krankheiten habe. Statistiken belegen dies nicht. Geschichten über treulose Ehemänner und lebenslustige Witwen gehören aber zum täglichen Smalltalk auf dem Dorfplatz.
Im letzten Jahr sorgte zudem eine Drogenrazzia für Aufregung. Die Polizei fand in einer Villa grössere Mengen von Metamphetamin und Potenzpillen.
Dem Anspruch, eine «active adult community» zu sein, wird The Villages mit täglich rund 2000 Freizeitangeboten gerecht: Vom Gesprächszirkel über die Strickgruppe bis zum «laughing Yoga». Auf dem Gelände befinden sich zudem 52 Golfplätze und unzählige Schwimmbäder.
Die beliebteste Sportart ist «Pickleball», eine Art Strandtennis. Gespielt wird zu viert auf einem Hartplatzfeld. Um sich das teure Freizeitangebot leisten zu können, arbeiten nicht wenige Bewohnerinnen und Bewohner als Teilzeitkräfte in den Läden und Geschäften.
Am Eingang zu den abgeschlossenen Wohnquartieren werden Besucher registriert. Die einzelnen Quartiere unterscheiden sich durch Grösse und Stil der Häuser und Gärten. Die kleinsten Häuschen sind für rund 70'000 Dollar zu haben. Villen mit Umschwung kosten gut eine Million Dollar.
Für jedes Quartier gelten strikte Gestaltungsprinzipien. Die Häuser in einem Quartier unterscheiden sich nur in Nuancen. An Fassaden oder Vorgärten darf nichts ohne Bewilligung verändert werden. Der Individualität sind strenge Grenzen gesetzt. Erlaubt sind derzeit Kürbisse und Halloween-Dekorationen.
Verboten sind politische Werbung und Kandidatenschilder in den Vorgärten. Diese sind nur an Autos und Golfcars geduldet.
In The Villages leben viele Pensionierte aus dem konservativen Mittleren Westen der USA. Bei Wahlen erhalten republikanische Kandidaten in The Villages doppelt so viele Stimmen wie die demokratischen Bewerber.
Donald Trump siegte hier vor zwei Jahren deutlich. Auch weil die Wahlbeteiligung mit 80 Prozent höher ist als im Landesdurchschnitt, kann es sich mittlerweile kaum mehr ein Kandidat leisten, The Villages auf der Wahlkampftour auszulassen. Vizepräsident Mike Pence ist hier schon aufgetreten, ebenso Sarah Palin oder Mitt Romney.
Der örtliche Radiosender WVLG gehört zur konservativen Mediengruppe Fox News. Unzählige Lautsprecher in den Dorfzentren, befestigt an Laternenpfosten und versteckt in Gebüschen, sorgen für akustische Dauerberieselung.
«Dass ‹The Villages› eine republikanische Hochburg ist, war der Hauptgrund, weshalb ich hierher gezogen bin», sagt Lee. Sie ist bei den örtlichen Republikanern für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Marina vom Vorstand der republikanischen Partei Floridas ist zufrieden mit Trump: «Er hat das Land in die richtige Richtung geführt. Die Aktienkurse sind hoch, mein Vermögen ist gewachsen. Es sind die Resultate, die zählen.»
John, der Präsident der Ortspartei, ergänzt: «Trump ist eben kein Schönredner, sondern sorgt dafür, dass Probleme gelöst werden. Das passt halt vielen nicht.»
Als Barbara vor einem Jahr hierherzog, glaubte sie erst, die einzige Liberale im Ort zu sein. «Demokraten trauen sich hier kaum, sich zu erkennen zu geben.» Im Wahlkampf engagiert sie sich dennoch, musste sich aber oft Beschimpfungen von Republikanern anhören.
Ihre Parteikollegin Joann berichtet gar von Sachbeschädigungen. «Einer Freundin von mir wurde das Auto mit einem Schlüssel zerkratzt, weil sie Aufkleber für demokratische Kandidaten an der Stossstange hatte.» Beide sind überzeugt, dass das politische Klima auch in The Villages rauer geworden ist, seit Trump ins Weisse Haus gewählt wurde.
Dana Cottrell, die demokratische Kandidatin im elften Wahldistrikt, zum dem The Villages gehört, wurde vom Gelände verwiesen, als sie auf öffentlichen Plätzen Unterschriften sammelte.
Eines der drei Dorfzentren ist vollständig im spanischen Kolonialstil gehalten. In den Strassen hört man jedoch kaum ein spanisches Wort. «Es gibt schon Latinos hier», erklärt eine ältere Dame auf dem Hauptplatz von Spanish Springs, «aber die arbeiten für uns».
Offiziell sind 5,5 Prozent der Bewohner von The Villages Hispanics. Die Mehrheit von ihnen arbeitet als Gärtner oder Haushaltshilfen. Dasselbe gilt für Menschen mit dunkler Hautfarbe.
An Wochenenden ist es in den Dorfzentren fast nicht möglich, einen freien Parkplatz zu finden. Märkte, Paraden und Festivals ziehen auch Besucher von ausserhalb an. Um Weihnachten steigt die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner zudem stark an. Dann kommen die sogenannten «Snowbirds»; Pensionierte, die nur ein paar Wochen im Winter in The Villages verbringen.
Bereits sind 42'000 weitere Wohneinheiten geplant, um der steigenden Nachfrage entsprechen zu können. Bis in wenigen Jahren dürften in The Villages bereits so viele Menschen leben wie in der Stadt Basel.
Täglich ab 17 Uhr beginnt auf allen drei Dorfplätzen die öffentliche Abendunterhaltung mit diversen Livebands. Auch während dieser Konzerte gelten klare Regeln: Kinder müssen beaufsichtigt werden, Rauchen ist verboten und alkoholische Getränke dürfen nur konsumiert werden, wenn sie direkt auf dem Platz gekauft wurden.
«Line Dancing» ist populär in The Villages. Meist bilden sich spontan grössere Formationen von unermüdlichen Tänzerinnen und Tänzern im Seniorenalter. Punkt 21 Uhr ist Schluss mit der organisierten Fröhlichkeit. Die Musik verstummt, sämtliche Geschäfte und Lokale machen dicht. Bereits eine halbe Stunde später sind die Strassen wie ausgestorben.
Man geht früh schlafen in The Villages. Die meisten Freizeitaktivitäten für die «active adults» beginnen morgens um acht.