Am Sonntag wird in Portugal gewählt. Die Wirtschaftskrise traf das Land hart. Aber Portugal hat sich erholt. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Wirtschaft wächst wieder. Arbeitsmarktforscher Pedro Portugal erklärt diesen Aufstieg.
SRF News: Steht die Wirtschaft Portugals tatsächlich wieder gut da?
Pedro Portugal: Was das Wachstum des Bruttoinlandprodukts und die Arbeitslosigkeit angeht, ja. Doch dieser Prozess hat schon bevor die aktuelle Regierung 2015 gewählt wurde begonnen. Portugal wurde von der Krise hart getroffen. Es sah sehr düster aus auf dem Arbeitsmarkt. In normalen Zeiten liegt die Arbeitslosigkeit bei 5 bis 6 Prozent, während der Krise lag sie bei 16 bis 17 Prozent. Aber seit etwa 2013 befinden wir uns in einem Aufwärtstrend.
Das heisst, die linke Regierung von António Costa hat die Lorbeeren für den Aufschwung gar nicht verdient?
Die harte Arbeit hat die mitte-rechts-Regierung davor geleistet. Costas Regierung kann man zugutehalten, dass sie die Arbeit nicht zunichtegemacht hat. Sie hat nichts Falsches getan, aber sie hat von der Vorarbeit profitiert.
Portugal erlebt einen Tourismusboom. Ist das ein Verdienst der Politik?
Der Tourismussektor leistet tatsächlich einen grossen Beitrag an das aktuelle Wachstum. Aber auch dieser Trend hat bereits früher begonnen. Was tatsächlich Glück oder Zufall war, wenn man so will, ist, dass Portugal immer beliebter wurde, weil andere Destinationen am Mittelmeer von Terroranschlägen heimgesucht wurden. Touristen aus Brasilien und diversen europäischen Staaten tragen sehr viel zur Wirtschaftsleistung bei.
Lange basierte der portugiesische Arbeitsmarkt auf niedrigen Löhnen, niedriger Arbeitslosigkeit und niedriger Qualifikation. Ist das noch so?
Bei den niedrigen Qualifikationen stimmt das immer weniger. Portugal hat sein Bildungssystem jahrzehntelang vernachlässigt. Der Unterschied zwischen den Löhnen der Leute ohne und jenen mit Hochschulabschluss war grösser als überall sonst in Europa. Jemand mit Hochschulabschluss verdiente rund 70 Prozent mehr. Das verbessert sich im Moment stark.
22 Prozent der Bevölkerung erhalten den Mindestlohn von 600 Euro. Gemessen an Schweizer Verhältnissen ist das ziemlich bemerkenswert.
Es gibt immer mehr Menschen mit Hochschulabschluss auf dem Arbeitsmarkt. Was der Staat dazu beigetragen hat, sind tiefe Studiengebühren und mehr Studienplätze. Der andere wichtige Trend ist, dass Frauen eine immer wichtigere Rolle spielen. Früher oder später wird das die Löhne beeinflussen.
Die Menschen mit niedriger Ausbildung und niedrigen Löhnen wurden von der Krise besonders hart getroffen. Viele verloren ihre Jobs. Wie geht es diesen Menschen heute? Haben sie wieder eine Arbeit gefunden?
Die meisten schon. Viele von ihnen arbeiten heute im Tourismus oder in der Baubranche. 22 Prozent der Bevölkerung erhalten den Mindestlohn von 600 Euro. Gemessen an Schweizer Verhältnissen ist das ziemlich bemerkenswert.
Portugal weist eine grosse wirtschaftliche Ungleichheit auf. Warum?
Erstens: Portugal ist ein Land mit grossen Lohnunterschieden, weil es nach wie vor eine grosse Gesellschaftsschicht gibt, die sehr schlecht ausgebildet ist. Es gibt zum Beispiel Leute, die nur vier Jahre zur Schule gegangen sind. Das verbessert sich gerade sehr stark, aber wir schleppen hier ein Erbe aus früheren Zeiten mit. Zweitens: Es gibt zwar Steuererleichterungen und staatliche Unterstützung für die schwächste Schicht, aber diese können die Lücke nicht füllen. Drittens: Wir haben zwar den Mindestlohn, aber der reicht nicht aus. Ab einem gewissen Punkt lohnt es sich nicht mehr, zu arbeiten.
Das Gespräch führte Melanie Pfändler.