Die Fans der nordirischen Nationalmannschaft werden beim Rückspiel gegen die Schweiz freudig erwartet. Seit der Europameisterschaft in Frankreich im vergangenen Jahr gelten sie als Stimmungskanonen. Unvergessen bleibt der Fangesang zu Nordirlands Kultkicker Will Grigg «Will Grigg's on fire».
Die Stimmung rund um das Nationalteam ist aber noch nicht lange so friedlich. Im Nordirlandkonflikt benutzen die Protestanten das Team, um Stimmung zu machen und sich vom katholischen Süden der Insel abzugrenzen.
Katholiken sind deshalb nicht willkommen im Nationalstadion Windsor Park, das in einem protestantischen Arbeiterviertel liegt. Der Hass gipfelt 2002 in einem Skandal: Wegen einer Morddrohung tritt Teamcaptain Neil Lennon zurück. Protestantische Hardliner unter den Fans haben ihm gedroht – aus Wut über seinen Wechsel zu Celtic Glasgow, dem Klub der katholischen Gemeinschaft in Schottland.
Alte Feindschaften überwinden
Zehn Jahre später schlägt der nordirische Fussballverband ein neues Kapitel auf: Er macht 2012 den Katholiken Michael O'Neill zum neuen Trainer des Nationalteams. Seine Ernennung wird als Zeichen der Versöhnung interpretiert.
Und der neue Trainer hat Erfolg. Nach dem gelungenen Auftritt letztes Jahr an der Europameisterschaft in Frankreich schreibt der nordirische Journalist James Cropper in der Zeitung «Irish Post» hoffnungsvoll: «Etwas scheint sich zu verändern. Der Fussballverband hat mit seinen Massnahmen für eine entpolitisierte Atmosphäre in der Nationalmannschaft gesorgt.»
Und doch bleibt die Stimmung fragil. Das Singen der Nationalhymne «God save the Queen» zum Beispiel ist für die Katholiken noch immer unvorstellbar. Auch einige Spieler bleiben jeweils demonstrativ stumm. Das war beim Hinspiel in Belfast zu beobachten und wird auch im Basler St.Jakob-Park wieder zu sehen sein.
Was passiert aber, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt und die Nordiren sich nicht qualifizieren können für die WM in Russland? Brechen dann alten Feindschaften auf? Soweit werde es nicht kommen, meint Fussball-Experte Dietrich Schulze-Marmeling. Er hat als Journalist in Nordirland gelebt, mehrere Fussballbücher verfasst und ist überzeugt: «Der Wandel kann nicht durch einen Misserfolg allein gestoppt werden.»
Im nordirischen Team ist der Anteil Katholiken auf etwa einen Viertel angestiegen.
Von einer Durchmischung des Publikums sei man allerdings noch weit entfernt, sagt Schulze-Marmeling. An den Heimspielen liege der Anteil katholischer Fans gemäss einer Untersuchung bei 5 Prozent: «Im Team selbst ist der Anteil der Katholiken auf etwa ein Viertel angestiegen.»
Das nordirische Nationalteam ist also kein wirkliches Integrationsprojekt. Immerhin ist aber so etwas wie gegenseitiger Respekt entstanden. Ob es dem Verband gelingt, die Gräben noch weiter zuzuschütten, bleibt laut Schulze-Marmeling allerdings fraglich. Der Ausgang der Brexit-Abstimmung habe die Gesellschaft in Nordirland wieder stärker polarisiert und alte Wunden eneut aufgerissen.
Politischer Patt
Exemplarisch zeigt sich das am seit Monaten dauernden Streit um die Regierung Nordirlands. Weil die Bildung einer Einheitsregierung Anfang Monat gescheitert ist, will die britische Regierung Nordirlands Haushalt für nächstes Jahr von London aus festlegen. Grund für die Regierungskrise ist eine Regelung im Friedensabkommen von 1998. Im sogenannten Karfreitagsabkommen ist festgelegt, dass die Regierung aus den jeweils stärksten Fraktionen des protestantisch-unionistischen und des republikanisch-katholischen Lagers gebildet werden muss. Seit den Neuwahlen im März streiten sich die beiden Lager und konnten sich bis jetzt nicht einigen.