Rezo, ein sogenannter Influencer, veröffentlichte vor den Europawahlen ein Video mit dem Titel «Zerstörung der CDU» auf Youtube. Das Video wurde millionenfach angeklickt und löste eine breite Debatte aus. Sie gipfelte darin, dass CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer offen darüber nachdachte, ob es nicht Regeln für politische Meinungsmache im Netz geben müsse. Rainer Stadler von der NZZ hält das für eine gute Frage.
SRF News: Ist das Video von Rezo eine Hetzkampagne oder ein Beispiel dafür, wie Junge mit politischen Inhalten angesprochen werden können?
Rainer Stadler: Eine Hetze ist das nicht. Es ist ein interessanter Fall. Es illustriert sehr anschaulich, wie sich die ganze politische Kommunikation verändert. Insofern ist es sehr wichtig, dass wir darüber diskutieren.
Können Sie Kramp-Karrenbauers Sorgen verstehen?
Ich finde es falsch, wenn eine Frau, die möglicherweise Kanzlerin wird, dies so formuliert. Aber die Fragen, die sie stellt, verdienen diskutiert zu werden.
Welche Fragen meinen Sie konkret?
Verschiedene. Es geht hier um die Meinungsmacht und was die Rolle des Internets ist; von Youtubern, die inzwischen eine grosse Gefolgschaft aufbauen können. Und darum, ob man sie getrennt betrachten oder sie in Bezug zu Radio und Fernsehen setzen muss. Letztere nehmen in der medienpolitischen Diskussion immer noch eine Sonderrolle ein.
Muss man dies Ihrer Meinung nach getrennt anschauen?
Das ist heikel. Die Presse ist im Prinzip frei in der Art, wie sie Themen darstellt und kommentiert. Für Radio und Fernsehen gelten aber spezifische Regeln, auch für Private. Sie sind verpflichtet, Ereignisse sachgerecht darzustellen. Sie dürfen nicht diskriminieren und müssen die Menschenwürde achten.
Grundsätzlich muss man das nicht regeln. Aber man muss mehr Analyse liefern.
Das haben wir eingeführt, weil Radio und Fernsehen besonders wirkmächtige Medien sind. Doch soll man diese Regeln streichen? Sollen sie nur noch für öffentliche Sender gelten? Oder soll man sie auf neue Akteure ausweiten?
Was ist Ihre Meinung dazu?
Grundsätzlich würde ich sagen, man muss das nicht regeln. Aber man muss mehr Analyse liefern. Es gibt Leute, die sagen, Rezo hätte eine höhere Reichweite als ein Fernsehsender erreicht. Ich würde das bezweifeln. Man müsste die zahlen noch ein bisschen genauer interpretieren. Aber man kann sagen, er ist wirkungsmächtig und kann Meinungsbildung beeinflussen.
Es ist ein neues Phänomen, dass Einzelpersonen eine solch hohe Meinungsmacht haben. Ist das bedrohlich für eine Demokratie?
Nicht unbedingt. Es kommt immer darauf an, was für Akteure sonst noch unterwegs sind. Wir haben immer noch eine Vielzahl an Pressetiteln und Radio- und Fernsehsendern, die über Politik berichten. Youtuber sind neue Akteure. Sie haben gerade unter den Jungen eine grosse Reichweite.
Mittelfristig muss man damit rechnen, dass Akteure ohne klare Identität auftreten.
Heisst das nun, sie haben eine übermächtige Reichweite in dieser Generation? Ist das schon ein Meinungskartell? Und ist es erlaubt, dass sie sich für einen gemeinsamen Wahlaufruf zusammenschliessen? Das muss man diskutieren.
Im Herbst sind nationale Wahlen. Müssen wir uns darauf einstellen, dass die Parteien Youtuber verpflichten, die uns sagen, wen wir wählen sollen?
Möglich ist alles. Wir haben hier immer noch starke Massenmedien, die den demokratischen Diskurs wesentlich prägen. Von daher sehe ich keine besondere Gefahr. Aber mittelfristig muss man damit rechnen, dass Akteure ohne klare Identität auftreten. Diese sehen zwar aus wie Journalisten, sind aber keine. Sie verfolgen propagandistische oder kommerzielle Absichten.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.