«Als wir vor einigen Jahren zum ersten Mal nach Burma gekommen sind, haben wir dort drei Neurochirurgen angetroffen – und das bei einer Bevölkerung von 50 Millionen Menschen», sagt Philippe Schucht.
Der Neurochirurg am Inselspital Bern engagiert sich im Ärztenetzwerk «Swiss Neurosurgeons International» (SNI). Die Ärzte reisen periodisch nach Burma, um dort Patienten zu behandeln und junge Ärzte auszubilden. Inzwischen gebe es in dem Land immerhin 49 Neurochirurgen, die ihrerseits wiederum Nachwuchsärzte ausbilden, zieht Schucht eine positive Zwischenbilanz.
Seit Jahren in Rakhine tätig
Das SNI arbeitete von Anfang an auch in der Provinz Rakhine. Dort lebt die Minderheit der muslimischen Rohingya, von denen die meisten in den letzten Wochen ins benachbarte Bangladesch geflohen sind.
Trotz der seit Jahren schwierigen Lage habe seine Organisation immer in Rakhine arbeiten dürfen, betont Schucht. Das Erfolgsrezept: «Wir sind aus medizinischen Gründen da, für die Bevölkerung.» Das habe man den Leuten und den Behörden von Anfang an und immer wieder klargemacht.
Sensibles Gleichgewicht nicht stören
Die Gratwanderung in Burma ist schwierig: Schucht erzählt eine Episode, die sich zu Beginn der Tätigkeit des Ärztenetzwerks in Rakhine abgespielt habe:
Eine grosse internationale Hilfsorganisation sei in dem Gebiet zur Unterstützung der benachteiligten Rohingya tätig geworden: «Die muslimische Minderheit wurde unterstützt mit einem Feldlazarett und die Kinder wurden geimpft.»
Doch das habe in dem bitterarmen Land zu einem plötzlichen Ungleichgewicht gegenüber der anderen Volksgruppe, den Buddhisten, geführt. «Die Buddhisten hatten nichts: keine Impfprogramme für ihre Kinder, nicht einmal richtige Schulen.»
Wenn wir ein buddhistisches Kind operierten, operierten wir auch ein muslimisches Kind.
Vorher ging es quasi beiden Volksgruppen schlecht, doch nach dem Eingreifen der Organisation waren die Buddhisten plötzlich gegenüber den als Einwanderer geltenden Rohingya im Nachteil. Durch ein eigentlich lobenswertes humanitäres Engagement wurde also ein sensibles Gleichgewicht zerstört.
Respekt von beiden Seiten
«Das hat viel böses Blut gegeben», sagt Schucht. Deshalb habe seine Organisation SNI von Anfang an darauf geachtet, Patienten aus beiden Volksgruppen gleich zu behandeln. «Wenn wir ein buddhistisches Kind operieren, operieren wir auch ein muslimisches Kind.» Wohl deshalb sei man immer von beiden Seiten respektiert worden.
Auf die Frage, wie er die aktuelle Lage in Burma und insbesondere im Krisengebiet von Rakhine beschreiben soll, sagt Schucht: «Es gibt sehr viel politischen Zündstoff. Aber es gibt auch viele gute Menschen, die sich für andere einsetzen.»