Schafe sind in der Schweiz keine Seltenheit. Im Gegenteil. Wer durch die Walliser Alpen wandert, darf gerne einmal einen Ausfallschritt machen, um den bockigen Zeitgenossen nicht in die Quere zu kommen. Und muss trotzdem ein dröhnendes «Mäh!» aus Dutzenden Kehlen über sich ergehen lassen.
Doch tief in den Walliser Bergen hat sich in den letzten Jahrzehnten ein regelrechtes Drama um eine Schafrasse abgespielt: Die «Saaser Mutte» drohte auszusterben. Zwischenzeitlich hat sich ihr Bestand von rund 2000 Exemplaren auf kaum mehr als 300 verringert.
Wenn Nutztiere ihren Nutzen verlieren
Die Moderne und mit ihr der Strukturwandel hielten auch im Saastal und Simplongebiet, den Stammlanden der seltenen Schafe, Einzug. Lange Jahre hatten die «Saaser Mutten» mit ihrem Fleisch und ihrer Wolle eine wichtige Rolle bei der Selbstversorgung der Familien in den entlegenen Dörfchen und Weilern gespielt. Dann wurden die Schafe mit ihren charakteristischen langen Ohren vielerorts nicht mehr gebraucht.
Als ob das nicht genug wäre, wurden die «Saaser Mutten» vor drei Jahren zu den Hauptdarstellern eines Alpenkrimis. Im September 2014 verschwanden in Saas Almagell (VS) 103 der seltenen Schafe ; der Diebstahl war ein herber Rückschlag für die Versuche, die gefährdete Art zu erhalten. Gerade einmal sechs der Tiere tauchten in Domodossola wieder auf.
Für den Diebstahl sollen zwei italienische Schafhalter verantwortlich gewesen sein, die mit dem Verkaufserlös ihre Schulden begleichen wollten. Erst vor wenigen Wochen schlugen auch im Kanton Solothurn dreiste Schafdiebe zu: Sie entführten sieben «Saaser Mutten», sechs der Tiere waren trächtig.
Nach all den schlechten Nachrichten gab es am Wochenende aber Erfreuliches zu berichten: Im Waadtländer Tierpark La Garenne wurde ein Lamm geboren, und nicht irgendeines, sondern eine «Saaser Mutte».
Besonders hat sich Philippe Ammann über die Nachricht gefreut. Er ist stellvertretender Leiter der Stiftung Pro Specie Rara, die sich für den Erhalt der seltenen Schafe einsetzt. «Jeder Nachwuchs ist hochwillkommen und trägt dazu bei, dass die Rasse nicht verschwindet», sagt Ammann.
Mit dem Lamm lebt für den Zoologen auch ein Teil unserer Geschichte und unseres Kulturgutes weiter:
Es ist das Schaf, mit dem die Familien im Saastal und Simplongebiet früher gelebt haben. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir die Schafe erhalten. Sie erzählen, woher wir kommen.
Wer Nutztiere an ihrem Beitrag zum Bruttosozialprodukt bemisst, mag sich fragen: Wozu braucht es die langohrigen Schafe überhaupt? Solch herzlose Überlegungen kontert Ammann damit, dass die «Saaser Mutten» keineswegs «nutzlos» sind. Denn gerade in Bergregionen wie dem Wallis ist Tradition eine harte Währung.
«Unser Kulturgut ist ein Wert, der für Tourismusindustrie wieder interessant wird», glaubt Ammann. Bergführer könnten Wanderungen durchführen auf denen die Schafe zu bestaunen seien; und sollte sich der Bestand dereinst vollends erholen, könnten im Saastal wieder die eigenen «Mutten» auf dem Teller landen: «Und keine Schafe aus Neuseeland.»
Durch das Engagement von Pro Specie Rara hat sich der Bestand der «Saaser Mutten» wieder etwas erholt, schildert Ammann: «Seit wir 2014 begonnen haben, haben sich viele Leute bei uns gemeldet, die zum Beispiel einen Stall haben und mitmachen wollten.» So habe man den Bestand auf über 500 Schafe erhöhen können.
Gelegenheit macht Schafdiebe
Gleichzeitig konnte der verbliebene Bestand genetisch analysiert werden: «Das war ganz wichtig. Denn es gab kein Zuchtbuch, wodurch wir keine Inzuchtberechnungen machen konnten.» Durch die Ermittlung des Genpools kann nun eine gesunde Population herangezüchtet werden – sofern die «Schafdiebe» ihre sonderbare Vorliebe für «Saaser Mutten» aufgeben.
Zu diesem Thema hat Ammann übrigens eine ganz eigene Theorie: «Ich glaube, dass nicht die Saaser Mutten begehrt waren, sondern die Leute ganz einfach Tiere entwenden wollten. Und dann die mitnahmen, die gerade verfügbar waren. Man kann sagen: Dumm gelaufen.»
Hätten die Diebe die durchaus begehrten (und teuren) «Mutten» gezielt gestohlen, um sich an der Zucht zu beteiligen, wären sie «über kurz oder lang wieder bei mir gelandet. Ich führe das Herdebuch und mache die Zuchtplanung», so der Zoologe.
Indizien für ein «Versehen» gibt es im Fall Solothurn: Nach ein paar Tagen standen fünf der sieben gestohlenen Schafe wieder auf ihrer Weide. «Absolut unerklärlich», befand der glückliche Bauer.