Wer arbeitet, wird dafür entlöhnt. Wer nicht arbeitet, kriegt nichts. So die allgemein vorherrschende Maxime. Einen anderen Ansatz wählt die Initiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen», über die am 5. Juni abgestimmt wird.
Wer in der Schweiz lebt, soll vom Staat regelmässig Geld erhalten – unabhängig davon, ob er oder sie einer Arbeit nachgeht. Konkret schlagen die Initianten einen monatlichen Betrag von 2500 Franken pro Erwachsenem vor. Für Kinder und Jugendliche würden demnach 625 Franken ausbezahlt.
Die Technologisierung und ihre Folgen
Eine visionäre Idee, finden die Befürworter. «Wir stehen heute an einem Scheideweg», sagte Irina Studhalter vom Initiativkomitee. Digitalisierung und Robotisierung schritten mit einem unglaublichen Tempo voran. «Angst müssen wir davor nicht haben.» Aber es gehe nun darum, ein System zu schaffen, das den Leuten auch in Zukunft eine menschenwürdige Existenz garantiere.
SP-Bunderat Alain Berset hielt dagegen. Ein Blick in die Vergangenheit zeige, wie jede technologische und gesellschaftliche Entwicklung auch wieder neue Jobs hervorbringe. Zudem gab Berset zu bedenken, dass in der Schweiz bereits jetzt eine Art Grundeinkommen existiere, wenn auch nicht bedingungslos. Es bestehe keinerlei Notwendigkeit, das bewährte und gut funktionierende System «umzukrempeln».
Arbeiten oder Nicht-Arbeiten?
Weit auseinander gingen die Meinungen bei der Frage, ob Herr und Frau Schweizer im Falle eines bedingungslosen Grundeinkommens überhaupt noch arbeiten würden. Viele davon nicht, ist die neue FDP-Präsidentin und Nationalrätin Petra Gössi überzeugt. Schliesslich erhielte eine Familie mit zwei Kindern bereits über 6000 Franken. Auch die vorwiegend von Frauen besetzten Teilzeitstellen würden sich kaum mehr lohnen. «Damit begibt man sich in die allergrösste Abhängigkeit von Staat und Politik», warnte Gössi.
Die Gefahr einer massiven Sockel-Arbeitslosigkeit ortete zudem Valentin Vogt , Präsident des Arbeitgeber-Verbandes. Seiner Meinung nach würde es zahlreiche Leute geben, die sich dank dem Staats-Zuschuss komplett aus dem Arbeitsmarkt verabschieden würden. «Diese Langzeitarbeitslosen werden auch später nicht mehr zurückfinden.»
Für den Arbeitspsychologen Theo Wehner , der die Initiative befürwortet, ist hingegen klar: «Menschen sind soziale und tätige Wesen, die sich beschäftigen wollen.» Sie hätten jedoch Fantasien und Gestaltungsideen, die im heutigen System nicht eingebracht werden könnten. Da erstaune es auch nicht, dass die Zahl der psychischen Erkrankungen noch nie so hoch gewesen sei wie aktuell.
Mehrwertsteuer verdoppeln?
Ein wesentlicher Knackpunkt blieb in der Debatte allerdings bestehen: Die Finanzierung. Das Grundeinkommen für alle würde den Bund laut Experten insgesamt 208 Milliarden Franken jährlich kosten. 128 Milliarden davon wären – wenn denn die Zahl der Arbeitstätigen gleich bliebe – bereits finanziert, da sie aus der Erwerbsarbeit stammen. Sparen würde der Staat zudem bei den Sozialversicherungen wie AHV und IV, die teilweise unnötig würden. Dies brächte ungefähr 55 Milliarden ein. Erwartete Mehrkosten: 25 Milliarden Franken pro Jahr.
Finanzierbar, wenn man es denn will, sind die Befürworter felsenfest überzeugt. Anders sieht dies Sozialminister Alain Berset. Er geht davon aus, dass für eine Umsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens die Mehrwertsteuer verdoppelt werden müsste.
«Wir schaffen hier gemeinsam etwas Soziales», betonte Daniel Straub vom Initiativkomitee nochmals. Vor Einführung der AHV habe man genau dieselbe Diskussion geführt, und heute würde das Sozialwerk niemand mehr missen wollen. Die Initiative sei nicht kurzfristiger Natur, sie richte ihren Blick auf 20 Jahre hinaus. «Auch sämtliche Zukunftsforscher sagen: Früher oder später werden wir auf jeden Fall ein bedingungsloses Grundeinkommen haben.»
Zum Schluss der Sendung liess Jonas Projer seine Gäste zwar nicht in die Zukunft blicken – dafür durften sie bei der «Letzten Frage» aber von einem achten Wochentag träumen. Sehen Sie hier.