Derzeit findet die jährliche Tagung der Caritas in Bern statt. Wichtigstes Thema: Nationalismus. Nur: Warum kümmert sich eine Organisation, die sich der Bekämpfung von Armut verschrieben hat, um Nationalismus?
SRF News: Wieso ist Nationalismus ein Thema für die Caritas?
Martin Flügel: Wir sehen, dass Nationalismus immer ausgrenzend wirkt. Bestimmte Gruppen von Menschen werden ausgeschlossen. Für Caritas Schweiz steht die Solidarität und die Gerechtigkeit im Vordergrund. Nationalismus ist deshalb ein Thema, das uns betrifft.
Woran merken Sie das?
Wir sind im Bereich der Betreuung und Beratung von Asylsuchenden tätig. Im letzten Jahr haben wir uns beispielsweise zur Frage der Minderjährigen im Asylsystem geäussert. Dort haben wir sehr schwierige Verhältnisse gesehen. Im Kanton Bern gab es jetzt noch eine Abstimmung, bei der ein Kredit abgelehnt wurde. Wir sehen daran, dass die Tätigkeitsfelder, in denen wir aktiv sind, von dieser ausgrenzenden Ideologie betroffen sind.
Ausschlussmechanismen gegenüber Asylsuchenden, Flüchtlingen oder Sozialhilfebezügern sind ein Teil dieses nationalistischen Trends.
Hat das zugenommen?
Es sind auf jeden Fall Veränderungen eingetreten. Die Stimmungslage hat sich verändert. Beim Entscheid im Kanton Bern ging es darum, wie Kinder und Jugendliche wohnen und dass sie zur Schule gehen und eine Ausbildung machen können. Vor zehn Jahren hätte diese Abstimmung einen anderen Ausgang genommen.
Hat das wirklich etwas mit Nationalismus zu tun?
Ich denke schon. Der Nationalismus betont die Einheit des Volkes in der Schweiz, eine Einheit, die es eigentlich nicht gibt. Das ist eine merkwürdige Vorstellung, wenn wir die Geschichte der Schweiz mit dem Föderalismus und den Sprachregionen betrachten. Ausschlussmechanismen gegenüber Asylsuchenden, Flüchtlingen oder Sozialhilfebezügern sind schon ein Teil dieses nationalistischen Trends.
Die Caritas hat sich der Bekämpfung der Armut verschrieben. Will sie sich jetzt aktiver in die Politik einmischen?
Die Caritas Schweiz versteht sich seit jeher als Anwalt der Armen. Wir wollen den Leuten nicht nur Almosen verteilen. Armut hat immer auch strukturelle Gründe. Alleinerziehende können sich ihren Lebensunterhalt beispielsweise nur schwierig selber finanzieren. Das hat mit der Krippenfinanzierung zu tun, was wiederum eine politische Frage ist. Meines Erachtens ist es nichts als konsequent, dass sich die Caritas politisch einbringt.
Bisher lag der Fokus aber stärker auf der Hilfe. Das ist eine Änderung.
Nein, ist es nicht. Die Caritas versteht sich seit jeher als anwaltschaftlich. Jetzt haben wir uns aber vorgenommen, uns direkter an die Politik zu wenden. Es ist eine Änderung der Intensität. Positionsbezüge, Stellungnahmen und Positionspapiere gibt es aber schon seit vielen Jahren bei der Caritas Schweiz.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.