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Schweiz Bundesanwaltschaft führt grossen Geldwäscherei-Prozess

Am Montag begann am Bundesstrafgericht in Bellinzona ein Verfahren, das zu den wichtigsten, zu den komplexesten und aufwendigsten gehört, die es in der Schweiz je gegeben hat. Sieben Beschuldigte stehen vor Gericht.

Die Angeklagten sollen bei der Privatisierung eines staatlichen Kohlekonzerns in Tschechien einen unlauteren Vorteil von 1,2 Milliarden Franken erzielt haben. Die Hälfte davon wurde auf Bankkonten in der Schweiz blockiert.

Braunkohlebagger
Legende: Der Braunkohleabbau in Most an der nördlichen tschechisch-deutschen Grenze – ein lukratives Geschäft. Keystone/Symbolbild

Im Telefonbuch sind am Boulevard de Pérolles 26 in Freiburg ein Tabakladen eingetragen, ein Bodypiercer, eine Privatschule und einige Privatpersonen. Und von dieser unscheinbaren Adresse aus wurde der zweitgrösste Kohle- und Energie-Konzern Tschechiens aufgekauft. Der Fall gilt als einer der grossen Skandale in Prag. Und er wird aufgerollt am Bundesstrafgericht in Bellinzona.

Tschechischen Staat betrogen

In den Jahren 1991 bis 1999 wurde die staatliche Braunkohlefördergesellschaft MUS (Mostecká uhelná společnost) privatisiert. Mitglieder des Verwaltungsrats und Angehörige des Überwachungsausschusses in dem Konzern haben gemäss Anklageschrift über Umwege 110 Millionen Franken nach Liechtenstein und in die Schweiz geschafft. Dann kauften sie mit dem aus der Firmenkasse abgezweigten Geld eine erste Aktientranche der eigenen Firma auf. Die Deals wurden abgewickelt über Dutzende von Firmen und hunderte Bankkonten, auch in der Schweiz.

Der Regierung in Prag wurde vorgegaukelt, dass der Kohlekonzern mehrheitlich in US-Besitz geraten sei. Die mit fünf Millionen Dollar geschmierte Regierung in Prag verkaufte ihren 46-Prozent-Aktienanteil für 28 Millionen Franken. Der wahre Wert geht in das Dutzendfache. Am Ende verfügten die Beschuldigten über 98 Prozent der Aktien, die sie dann mit grossem Gewinn zu verkaufen begannen.

Prag versäumt Fristen

Die Bundesanwaltschaft hat den tschechischen Staat im Juni 2010 eingeladen, als Geschädigter und Privatkläger aufzutreten. Mehrere Vorstösse der Schweiz blieben über ein Jahr lang ohne Antwort. Bis die Frist abgelaufen war und Prag nun in diesem Verfahren nicht mehr jene 660 Millionen Franken zurückfordern kann, die die Bundesanwaltschaft beschlagnahmt hat.

Die Anklage lautet auf Geldwäscherei, ungetreue Geschäftsbesorgung, Betrug und Urkundenfälschung. Beschuldigt werden drei ehemalige Verwaltungratsmitglieder und drei Mitglieder des Überwachungsausschusses im ehemaligen Kohlekonzern sowie ein Geschäftsmann, der jene zwei Firmen gesteuert haben soll, die die zentralen Drehscheiben waren bei den Aktiendeals.

So gross die Deals insgesamt gewesen sind – sie zerfallen in unzählige Zahlungsvorgänge in vielen Firmen und in zahlreichen Ländern mit immer anderen Gesetzesvorschriften. Die Verantwortung der Beschuldigten, Detail für Detail nachzuweisen, führte zu einem der komplexesten und aufwendigsten Verfahren, das die Bundesanwaltschaft je geführt hat.

Grosses mediales Echo

Bundesanwalt Michael Lauber erklärte gegenüber der Zeitung «Le Temps»: «Gewinnt die Bundesanwaltschaft den Prozess, dann hat die Schweiz bewiesen, dass sie ihre Verantwortung wahrnimmt beim Kampf gegen Missbräuche. Verliert sie den Prozess, dann drohen  Millionenentschädigungen für Anwälte und für das blockierte Kapital.»

Ob Schuldspruch oder nicht: Zahlreiche Medienvertreter aus Tschechien haben sich in Bellinzona angemeldet. Für sie ist der Prozess ein Stück Vergangenheitsbewältigung. Sie möchten Antworten haben auf die Frage, wo das gestohlene Volksvermögen gelandet ist.

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